Scaligers Werke sind erst in den 1750er Jahren plausibel.
03 März 2010 20:45 #2359
von *CD
*CD antwortete auf Aw: 280 Jahre Schriftlichkeit
Ich muss meine Meinung insofern relativieren, als ich noch keinen Blick in die Erstausgaben der entscheidenden Werke werfen konnte. Vielleicht gäbe es da und dort den einen oder anderen Hinweis, der eine andere Reihenfolge der Publikationen vermuten liesse. Die mir vorliegenden Ausgaben sind ja alle irgendwie "emendiert" ...
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03 März 2010 21:34 #2360
von Allrych
Allrych antwortete auf Aw: 280 Jahre Schriftlichkeit
Sethus Calvisius = Seth Kallwitz soll die Lebensdaten 1556 - 1615 haben. Er wäre also in der Steinzeit oder sonst einer unbekannten Vorzeit geboren.
Sein Hauptwerk, das Opus Chronologicum soll 1605 zum ersten Mal in Frankfurt und 1685 in Leipzig in der sechsten Auflage erschienen sein.
Die Ausgabe, die ich benutze, trägt das Datum 1650 und soll in Emden (!) erschienen sein.
Aber vor 1750 kann dieser Kallwitz nichts geschrieben haben. Die Details in seinem Zeitbuch verraten es.
Frühere und spätere Ausgaben bestimmen zu wollen, ist ein heisses oder besser gesagt ein nutzloses Unterfangen.
www.dillum.ch/html/inhalt.html
Sein Hauptwerk, das Opus Chronologicum soll 1605 zum ersten Mal in Frankfurt und 1685 in Leipzig in der sechsten Auflage erschienen sein.
Die Ausgabe, die ich benutze, trägt das Datum 1650 und soll in Emden (!) erschienen sein.
Aber vor 1750 kann dieser Kallwitz nichts geschrieben haben. Die Details in seinem Zeitbuch verraten es.
Frühere und spätere Ausgaben bestimmen zu wollen, ist ein heisses oder besser gesagt ein nutzloses Unterfangen.
www.dillum.ch/html/inhalt.html
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04 März 2010 00:27 - 04 März 2010 12:02 #2361
von Tuisto
Tuisto antwortete auf Aw: 280 Jahre Schriftlichkeit
"emendiert"... die Juden sprechen von "tikkun".
Mir ging es nicht anders. Die Reihenfolge des Erscheinens objektiv bestimmen zu wollen, ist äußerst problematisch. Entweder wurden die Werke vor "genehmigter" Drucklegung noch "verbessert" oder alles stammt von einer gemeinsam operierenden Gruppe, die nur nach außen durch scheinbar selbständig agierende Gelehrte auftrat.
Mir ging es nicht anders. Die Reihenfolge des Erscheinens objektiv bestimmen zu wollen, ist äußerst problematisch. Entweder wurden die Werke vor "genehmigter" Drucklegung noch "verbessert" oder alles stammt von einer gemeinsam operierenden Gruppe, die nur nach außen durch scheinbar selbständig agierende Gelehrte auftrat.
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04 März 2010 09:15 #2362
von prusak
prusak antwortete auf Aw: 280 Jahre Schriftlichkeit
Vielleicht ist Calvisius auch eigentlich der Kahlbutz:
de.wikipedia.org/wiki/Christian_Friedrich_von_Kahlbutz
de.wikipedia.org/wiki/Christian_Friedrich_von_Kahlbutz
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04 März 2010 20:33 #2369
von *CD
*CD antwortete auf Aw: 280 Jahre Schriftlichkeit
Hederich nennt in seiner "Anleitung zu den fürnehmsten historischen Wissenschaften", Wittenberg 1711, Scaliger, Petavius und Calvisius (nebst anderen) als wichtigste Quellen zum Studium der Chronologie. Gut 100 Jahre später jedoch spielte Calvisius für Ideler ("Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie", Berlin 1825-26) absolut keine Rolle mehr, jedoch werden dort Scaliger und Petavius für ihre Verdienste um die Chronologie gelobt... Diese Tatsache scheint mir sehr bemerkenswert zu sein, weil sie die chronologische Diskussion bis heute prägt, obwohl sie den geschichtlichen Tatsachen widerspricht.
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06 März 2010 10:40 #2376
von Allrych
Allrych antwortete auf Aw: 280 Jahre Schriftlichkeit
"CD" hat in seinen Beiträgen eine wichtige Erkenntnis der Quellenkritik erwähnt: Die alten Druckdaten sind ausnahmslos gefälscht, also rückdatiert oder falsch datiert.
Wenn ein gedrucktes Buch frühestens "um 1730" erschienen sein kann, ist jedes frühere Datum gefälscht.
Und ein Buch, welches als Druckdatum z.B. "1736" trägt, ist vom Inhalt her häufig erst 15 bis 20 Jahre später plausibel.
www.dillum.ch/html/inhalt.html
Wenn ein gedrucktes Buch frühestens "um 1730" erschienen sein kann, ist jedes frühere Datum gefälscht.
Und ein Buch, welches als Druckdatum z.B. "1736" trägt, ist vom Inhalt her häufig erst 15 bis 20 Jahre später plausibel.
www.dillum.ch/html/inhalt.html
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06 März 2010 18:20 #2386
von Allrych
Allrych antwortete auf Aw: 280 Jahre Schriftlichkeit
Im Forum wollen immer noch einige (Prusak, Tuisto) das Spätmittalalter samt der dazugehörigen Chronologie retten.
Damit fallen sie noch weiter zurück als Johnson (The Pauline Epistles), der jegliche Geschichtskenntnis vor 1533 bestreitet.
Und immer wieder wird das untaugliche Argument vorgebracht: Dafür dass die Geschichte erst im letzten Viertel des 18. Jhs. inhaltlich und chronologisch glaubwürdig werde, brauche es Beweise!
Aber bringen denn die Geschichtsgläubigen Beweise für ihre überlangen Epochen und ihre Schrottgeschichte?
Und immer wieder wird das chronologische Argument ignoriert: Wir können frühestens datieren ab dem Zeitpunkt, an dem die Anno Domini-Jahrzählung eingeführt und überall verstanden wurde.
Die Kunst- und Architekturgeschichte liefert die besten Argumente: Vor einer gewissen Zeit sind Bilder und Bauten unmöglich, weil ihre Inhalte und ihre Symbolik zuerst geschaffen werden musste.
Also ist die Gotik kaum vor 1730 und der Barock nicht vor 1760 möglich.
Und Zement musste zuerst einmal erfunden werden, der Buchdruck auch.
www.dillum.ch/html/geschichtskritik_chronologiekritik_09.htm
Damit fallen sie noch weiter zurück als Johnson (The Pauline Epistles), der jegliche Geschichtskenntnis vor 1533 bestreitet.
Und immer wieder wird das untaugliche Argument vorgebracht: Dafür dass die Geschichte erst im letzten Viertel des 18. Jhs. inhaltlich und chronologisch glaubwürdig werde, brauche es Beweise!
Aber bringen denn die Geschichtsgläubigen Beweise für ihre überlangen Epochen und ihre Schrottgeschichte?
Und immer wieder wird das chronologische Argument ignoriert: Wir können frühestens datieren ab dem Zeitpunkt, an dem die Anno Domini-Jahrzählung eingeführt und überall verstanden wurde.
Die Kunst- und Architekturgeschichte liefert die besten Argumente: Vor einer gewissen Zeit sind Bilder und Bauten unmöglich, weil ihre Inhalte und ihre Symbolik zuerst geschaffen werden musste.
Also ist die Gotik kaum vor 1730 und der Barock nicht vor 1760 möglich.
Und Zement musste zuerst einmal erfunden werden, der Buchdruck auch.
www.dillum.ch/html/geschichtskritik_chronologiekritik_09.htm
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06 März 2010 19:16 - 06 März 2010 19:36 #2388
von Tuisto
Alle gemachten Beobachtungen, so scharfsinnig und gut begründet sie auch sein mögen, scheitern an der durchgängigen AD-Zählung. Bring diese zu Fall, lieber Christoph.
Dann stehst Du zurecht auf dem Sockel, gebildet von der Masse und dem Wust der geknickten Historiker.
Mongolen und Tataren feierten so auch ihre gerechten Siege bei feinem Schmaus unter den darunter liegenden, ächzenden Leibern und knirschenden Knochen der Besiegten.
Ach, wie wunderbar bunt haben uns doch die bestallten Historiker solche Greuel und Schmerzen für die Looser und angenehme Lustigkeiten für die Sieger ausgemalt!
Dann stehst Du zurecht auf dem Sockel, gebildet von der Masse und dem Wust der geknickten Historiker.
Mongolen und Tataren feierten so auch ihre gerechten Siege bei feinem Schmaus unter den darunter liegenden, ächzenden Leibern und knirschenden Knochen der Besiegten.
Ach, wie wunderbar bunt haben uns doch die bestallten Historiker solche Greuel und Schmerzen für die Looser und angenehme Lustigkeiten für die Sieger ausgemalt!
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06 März 2010 20:20 #2389
von Allrych
Bald verstehe ich nur noch Bahnhof:
Was hat "eine durchgehende AD-Zählung" für eine Relevanz?
Die AD-Jahrzählung wurde zu einer bestimmten Zeit eingeführt. Aber wie die Geschichtserzählungen waren die Zahlen Sinnzahlen. Und die Daten dienten zuerst nur dazu,
um falsch und nach rückwärts zu datieren.
Und man kann jede neu eingeführte Jahrzählung nach rückwärts zu einem chronologischen System erweitern. Doch mit der Ära der Frz. Revolution und der Faschistenära wurde das nicht mehr gemacht.
Das Übel von AD ist, dass sie Sicherheit und Genauigkeit vorgaukelt, wo alles nur vage und dunkel ist.
Was hat "eine durchgehende AD-Zählung" für eine Relevanz?
Die AD-Jahrzählung wurde zu einer bestimmten Zeit eingeführt. Aber wie die Geschichtserzählungen waren die Zahlen Sinnzahlen. Und die Daten dienten zuerst nur dazu,
um falsch und nach rückwärts zu datieren.
Und man kann jede neu eingeführte Jahrzählung nach rückwärts zu einem chronologischen System erweitern. Doch mit der Ära der Frz. Revolution und der Faschistenära wurde das nicht mehr gemacht.
Das Übel von AD ist, dass sie Sicherheit und Genauigkeit vorgaukelt, wo alles nur vage und dunkel ist.
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07 März 2010 15:38 - 07 März 2010 15:39 #2394
von Tuisto
Tuisto antwortete auf Aw:Jacob Bernays Biographie von Scaliger
Es lohnt unbedingt, einmal wieder Jacob Bernays Biographie von Scaliger zu lesen.
Aus ihr wird sofort deutlich, dass er im 17. und 18. Jahrhundert so gut wie nicht zitiert wurde.
Zitate:
Je überschauender nun ein solcher Blick ist, um
desto fester wird er an der Epoche des Makedoniers
Alexander haften bleiben, weil dessen völkerbindende
Thaten die früher getrennt fliessenden Ströme menschli-
cher Tradition in ein gemeinsames Bette geleitet haben.
Von Aristoteles' Zögling geführt, liessen die Griechen
sich nicht an den Schatzkammern Susa's genügen; mit
gleichem Eifer drangen sie in den Bel-Tempel, die gehei-
ligte Sternwarte Babylons ; in den dort verwahrten astro-
nomischen Verzeichnissen erbeuteten sie sich die bisher
vermisste Grundlage für ihre Forschung; und aus den
vereinigten Beobachtungen des schauenden Orients und
Berechnxmgen scharfsinniger Griechen entwickelte sich
die Astronomie zu einer, Vergangenheit und Zukunft
umfassenden, Geschichte der Himmelserscheinungen und
zu einem untrüglichen Prüfstein historischer Zeitrech-
nung. Nicht mindere Förderung erhielt die Kunde
menschlicher Geschichten, als nach und nach die einzel-
nen unteijochten Völker die Urkunden ihrer nationalen
Vorzeit in hellenischer Sprache den Siegern vorlegten, mit
stolzer Hinweisung auf ihr graues Alter und schlecht
verhülltem Mitleiden über die knabenhafte Jugend des
Griechenthums. Mehrere Jahrhunderte hindurch wurde
von den verschiedenen Völkerstämmen der Stoff zu einer
allgemeinen Geschichte des Menschengeschlechts herbei-
geschafft — eine reiche, aber noch unverbundene Fülle,
des Mittelpunktes harrend, um den sie sich ordnen könne,
und unter dessen Schutz sie vor Zerstreuung gesichert
wäre. Dieser zusammenhaltende Mittelpunkt war erst
gewonnen, als die Bibel zum eigentlichen Weltbuche
emporgehoben wurde; in ihren Blättern f&hlte man, trotz
aller Abgeschlossenheit particularer Annalen, sich vom
allgemeinen Geiste der Weltgeschichte angeweht; aus-
laufend in die Yerheissung einer einheitlichen Zukunft
des Menschengeschlechts, leiteten sie zugleich zurück
zum Urzustand desselben, beides am Faden der Geschicke
eines Volkes, das, schon vermöge der örtlichen Lage
seines Landes am Heerwege der ältesten Culturvölker,
von allen Bewegungen der ältesten Zeiten berührt, erzo-
gen und erschüttert worden. Gar bald wurden also von
Wohlwollenden und Misswollenden die biblischen Nach-
richten zum Centrum gemacht, um das alle in der alexan-
drinischen Zeit vereinzelt angesammelte asiatische Ge-
schichtskunde sich zusammenzog, theils zum kritischen
Angriff, theils zum apologetischen Bollwerk. Als zeit-
weilig abschliessendes Ergebniss dieser Bemühungen, die
biblischen mit den übrigen Geschichtsurkunden zu ver-
gleichen, erscheint im vierten JahrhundertunsererZeitrech-
nung das grosse synchronistische Werk des Eusebius.
In seinem schematischen Fachwerk und unter dem Schirm
ecclesiastischer Autorität hat es den Forschern der Neu-
zeit die Documente ägyptischer, assyrischer und babylo-
nischer Geschichte aufbewahrt, für welche im Mittelalter
sonst keine Theilnahme und also auch keine Aussicht
auf Erhaltung vorhanden war. Jedoch auch in der gros-
sen Vorrathskammer des Eusebianischen Werkes waren
jene unschätzbaren Urkunden vorklassischer Geschichte
nur vor unwiederbringlicher Vernichtung geschützt; be-
nutzt wurden sie höchstens von byzantinischen Excerpto-
ren und Compendienschreibern, und einen allgemeineren
Einfluss auf Erweiterung des geschichtlichen Gesichts-
kreises äusserten sie weder während der eigentlichen
Mittemacht des Mittelalters, wo man sogar griechische
und römische Geschichte yergessen hatte, noch auch
beim Wiederaufdämmern der Wissenschaften in Italien,
wo man, in klassischer Eleganz befangen, sich nicht v^-
sucht fühlte, über Griechenland und Rom hinauszublicken.
oder
und daher auch der Anstoss zu so vielen unechten Machwerken,
die sich aus jener Zeit besonders in der lateinischen Lit-
teratur eingenistet haben. Von diesem synthetisch auf
ein Ganzes dringenden Triebe wurde die analytische
Forschung, mithin die Kritik, erstickt, die niedere wie die
höhere. Laurentius Valla, ein Kritiker im vollsten
Sinne des Wortes, steht unter den Itahenern vereinsamt
da; er fand um so spärlichere Nachfolge, als seine ätzende
Scheidekunst, die sich ein wenig über stilistische Ele-
ganzen hinauswagte, ihm abschreckende FährUchkeiten
zugezogen hatte.
oder:
In reifem Mannesalter, ausgerüstet mit den natür-
lichen Gaben, das Falsche zu spüren und das zerstreute
Wahre zu verbinden, gestärkt durch langjährige kritische
Arbeit, und belebt von einem fröhlichen Muth, der Nichts
verschwieg und Nichts verhüllte, gab er seinen gesam-
melten Kräften und seinem schrankenlosen Wissen die
Richtung auf universale Geschichte und Chronologie.
Auf diesen Feldern hat er in der That wie ein König
und Fürst gebaut, im grossen Stil und für späte Ge-
schlechter; seine Werke, die zwei Jahrhunderte hindurch
Gegenstand unfruchtbaren Staunens oder parteisüchtiger
Controverse geblieben, sind erst durch die Entdeckunsren
der jüngsten Zeit in den Bereich eines lebendigen wis-
senschaftlichen Verkehrs gezogen worden; und bei dem
Versuch ihre Bedeutung zu bezeichnen mag man sich
noch so sehr zur Kürze aufgefordert fühlen, man wird
um das Richtige zu sagen sich doch gezwungen sehen
einen Blick zu werfen auf den verschlungenen Gang der
allgemeinen Geschichtsüberlieferung.
www.archive.org/stream/josephjustussca01...a01berngoog_djvu.txt
Aus ihr wird sofort deutlich, dass er im 17. und 18. Jahrhundert so gut wie nicht zitiert wurde.
Zitate:
Je überschauender nun ein solcher Blick ist, um
desto fester wird er an der Epoche des Makedoniers
Alexander haften bleiben, weil dessen völkerbindende
Thaten die früher getrennt fliessenden Ströme menschli-
cher Tradition in ein gemeinsames Bette geleitet haben.
Von Aristoteles' Zögling geführt, liessen die Griechen
sich nicht an den Schatzkammern Susa's genügen; mit
gleichem Eifer drangen sie in den Bel-Tempel, die gehei-
ligte Sternwarte Babylons ; in den dort verwahrten astro-
nomischen Verzeichnissen erbeuteten sie sich die bisher
vermisste Grundlage für ihre Forschung; und aus den
vereinigten Beobachtungen des schauenden Orients und
Berechnxmgen scharfsinniger Griechen entwickelte sich
die Astronomie zu einer, Vergangenheit und Zukunft
umfassenden, Geschichte der Himmelserscheinungen und
zu einem untrüglichen Prüfstein historischer Zeitrech-
nung. Nicht mindere Förderung erhielt die Kunde
menschlicher Geschichten, als nach und nach die einzel-
nen unteijochten Völker die Urkunden ihrer nationalen
Vorzeit in hellenischer Sprache den Siegern vorlegten, mit
stolzer Hinweisung auf ihr graues Alter und schlecht
verhülltem Mitleiden über die knabenhafte Jugend des
Griechenthums. Mehrere Jahrhunderte hindurch wurde
von den verschiedenen Völkerstämmen der Stoff zu einer
allgemeinen Geschichte des Menschengeschlechts herbei-
geschafft — eine reiche, aber noch unverbundene Fülle,
des Mittelpunktes harrend, um den sie sich ordnen könne,
und unter dessen Schutz sie vor Zerstreuung gesichert
wäre. Dieser zusammenhaltende Mittelpunkt war erst
gewonnen, als die Bibel zum eigentlichen Weltbuche
emporgehoben wurde; in ihren Blättern f&hlte man, trotz
aller Abgeschlossenheit particularer Annalen, sich vom
allgemeinen Geiste der Weltgeschichte angeweht; aus-
laufend in die Yerheissung einer einheitlichen Zukunft
des Menschengeschlechts, leiteten sie zugleich zurück
zum Urzustand desselben, beides am Faden der Geschicke
eines Volkes, das, schon vermöge der örtlichen Lage
seines Landes am Heerwege der ältesten Culturvölker,
von allen Bewegungen der ältesten Zeiten berührt, erzo-
gen und erschüttert worden. Gar bald wurden also von
Wohlwollenden und Misswollenden die biblischen Nach-
richten zum Centrum gemacht, um das alle in der alexan-
drinischen Zeit vereinzelt angesammelte asiatische Ge-
schichtskunde sich zusammenzog, theils zum kritischen
Angriff, theils zum apologetischen Bollwerk. Als zeit-
weilig abschliessendes Ergebniss dieser Bemühungen, die
biblischen mit den übrigen Geschichtsurkunden zu ver-
gleichen, erscheint im vierten JahrhundertunsererZeitrech-
nung das grosse synchronistische Werk des Eusebius.
In seinem schematischen Fachwerk und unter dem Schirm
ecclesiastischer Autorität hat es den Forschern der Neu-
zeit die Documente ägyptischer, assyrischer und babylo-
nischer Geschichte aufbewahrt, für welche im Mittelalter
sonst keine Theilnahme und also auch keine Aussicht
auf Erhaltung vorhanden war. Jedoch auch in der gros-
sen Vorrathskammer des Eusebianischen Werkes waren
jene unschätzbaren Urkunden vorklassischer Geschichte
nur vor unwiederbringlicher Vernichtung geschützt; be-
nutzt wurden sie höchstens von byzantinischen Excerpto-
ren und Compendienschreibern, und einen allgemeineren
Einfluss auf Erweiterung des geschichtlichen Gesichts-
kreises äusserten sie weder während der eigentlichen
Mittemacht des Mittelalters, wo man sogar griechische
und römische Geschichte yergessen hatte, noch auch
beim Wiederaufdämmern der Wissenschaften in Italien,
wo man, in klassischer Eleganz befangen, sich nicht v^-
sucht fühlte, über Griechenland und Rom hinauszublicken.
oder
und daher auch der Anstoss zu so vielen unechten Machwerken,
die sich aus jener Zeit besonders in der lateinischen Lit-
teratur eingenistet haben. Von diesem synthetisch auf
ein Ganzes dringenden Triebe wurde die analytische
Forschung, mithin die Kritik, erstickt, die niedere wie die
höhere. Laurentius Valla, ein Kritiker im vollsten
Sinne des Wortes, steht unter den Itahenern vereinsamt
da; er fand um so spärlichere Nachfolge, als seine ätzende
Scheidekunst, die sich ein wenig über stilistische Ele-
ganzen hinauswagte, ihm abschreckende FährUchkeiten
zugezogen hatte.
oder:
In reifem Mannesalter, ausgerüstet mit den natür-
lichen Gaben, das Falsche zu spüren und das zerstreute
Wahre zu verbinden, gestärkt durch langjährige kritische
Arbeit, und belebt von einem fröhlichen Muth, der Nichts
verschwieg und Nichts verhüllte, gab er seinen gesam-
melten Kräften und seinem schrankenlosen Wissen die
Richtung auf universale Geschichte und Chronologie.
Auf diesen Feldern hat er in der That wie ein König
und Fürst gebaut, im grossen Stil und für späte Ge-
schlechter; seine Werke, die zwei Jahrhunderte hindurch
Gegenstand unfruchtbaren Staunens oder parteisüchtiger
Controverse geblieben, sind erst durch die Entdeckunsren
der jüngsten Zeit in den Bereich eines lebendigen wis-
senschaftlichen Verkehrs gezogen worden; und bei dem
Versuch ihre Bedeutung zu bezeichnen mag man sich
noch so sehr zur Kürze aufgefordert fühlen, man wird
um das Richtige zu sagen sich doch gezwungen sehen
einen Blick zu werfen auf den verschlungenen Gang der
allgemeinen Geschichtsüberlieferung.
www.archive.org/stream/josephjustussca01...a01berngoog_djvu.txt
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