Die Gotik dauerte ca. zwei Generationen

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16 Sep. 2009 11:05 #1032 von Allrych
Vor kurzem habe ich die Baugeschichte des gotischen Münsters in Bern neu analysiert:

www.dillum.ch/html/bern_muenster_baugeschichte_neu.htm

Dabei ergab sich vor allem eine lückenlose und in sich verschränkte bauliche Entwicklung von einem spätrömischen Bau zu einer romanischen Kirche und schliesslich zu einer gotischen Kathedrale.

Und da die Bauten sich nur beschränkt halten und der Geschmack und die Bedürfnisse der Erbauer rasch wechseln, kann man aus diesen Gegebenheiten einen Zeitraum von etwa zwei bis drei Generationen, also etwa gut 50 Jahre abschätzen.

Das gotische Münster in Bern mit seiner gewaltigen Plattform wurde nach meiner Schätzung in den 1750er Jahren vollendet. - Die spätrömische Zeit ist also vor etwa dreihundert Jahren ("um 1700 - 1710") anzusetzen.
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16 Sep. 2009 12:21 - 16 Sep. 2009 12:23 #1033 von prusak
"kann man abschätzen".

Ist das Schätzen jetzt eine ernsthafte Methode?
Ist diese Schätzung irgendwie vermittelbar?
Woran kann man das "Festmachen", außer am Daumen?


Ich selbst habe ein vergleichbares Problem
so formuliert:

"Liest man die Literatur über Schwerin,
so fällt die merkwürdige Baugeschichte
des Doms auf: vom XII. bis zum XV. Jahrhundert
soll fleißig daran gebaut worden sein,
vom XVI. bis ins XIX. Jahrhundert nicht mehr,
und seit 1840 wird er in jeder Generation
mit großem Aufwand repariert.
Die 300jährige Baupause ist höchst problematisch:
kein Bauwerk dieser Art kommt so lange
ohne größere Reparaturen aus.

Es hat also den Anschein, als wäre die tatsächliche Bauzeit
– die wohl ins XV.-XVII. Jahrhundert fällt –
nach hinten „geklappt“ worden,
um die Jahrhunderte davor irgendwie zu füllen.
Erst dadurch erscheint die Folgezeit so „leer“
und erst dadurch ist der Dom so einsam in den 300 Jahren
zwischen 1170 und 1500 – es gibt in Schwerin
kein anderes in diese Zeit datiertes Gebäude,
nicht einmal einen Keller."

Der Unterschied ist hoffentlich erkennbar:
ich schätze nichts, sondern stütze mich
auf die Aussagen der dortigen Fachleute,
die durch alle Keller gekrochen sind
und alle Baurechnungen studiert haben.

Es hat doch keinen Sinn, alle diese
Leute zu brüskieren, als wären sie Idioten.
Es erscheint mir jedoch sinnvoll,
sie auf die Konsequenzen ihrer
Geschichtsgläubigkeit hinzuweisen.

Freilich ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass
diese vielleicht gar nicht mal dummen Leute
ihrerseits unsereinen für einen Idioten halten,
egal, wieviel Mühe man sich gibt.

Also, unter uns hier: Ich halte die
neuerliche Verkürzung der Berner Baugeschichte
für übertrieben und zu wenig begründet.
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16 Sep. 2009 14:32 #1035 von prusak
In Schwerin wurde um 1710 die Schelfstadt neugeordnet,
die dortige gotische Schelfkirche abgerissen und
statt dessen die erste mecklenburgische
barocke Kirche gebaut.
Es gibt daran überhaupt keinen Zweifel.
Ich wüsste auch nicht, wie und warum
das chronologisch anders gewesen sein soll.
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16 Sep. 2009 20:01 #1036 von Allrych
"Prusak" hält meine verkürzte Baugeschichte des gotischen Münsters von Bern für übertrieben.

Da steht er nicht allein. Mehrere möchten wohl die Epochen verkürzten und näher an die Jetztzeit heranschieben.

Aber wer auf halbem Wege anhält, soll besser keinen Schritt machen: Entweder sucht man eine plausible Chronologie und begründete Zeitstellungen zu formulieren - oder man lässt es sein.

Das Problem ist nach wie vor das gleiche: die katastrophale Geschichts- und Datierungsgläubigkeit - auch unter Leuten, die der kritischen Chronologie nahestehen.

www.dillum.ch/html/bern_muenster_baugeschichte_neu.htm
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16 Sep. 2009 20:31 - 16 Sep. 2009 20:32 #1038 von prusak
Ich glaube nicht, dass es was mit
Gläubigkeit zu tun hat:

da gibt es die Bauzeichnungen, die Bauakten
den Streit um die Ausstattung der Schelfkirche
(wer fälscht Verwaltungsakten?)
und womöglich ist der Neubau der
Schweriner Schelfkirche ja die
Auswirkung des gerade vollzogenen
Übertritts zur reformierten Kirche
bzw. der Einführung des gregorianischen
Kalenders in Mecklenburg (1700)

- lauter Dinge, die real erscheinen
und die wegzudenken nur dann nicht schwer fällt,
wenn man Geschichte durch subjektive
Schätzungen ersetzen will.

Wie schon mal gesagt:
statt solcher Schnellmalschätzungen
würde ich gern mal ein paar Untersuchungen
der gründlichen Art dazu lesen.

Vermutlich mit mir auch noch andere.

Oder noch anders ausgedrückt, replay:
"Entweder sucht man eine plausible Chronologie
und begründete Zeitstellungen zu formulieren
- oder man lässt es sein."
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16 Sep. 2009 20:52 - 16 Sep. 2009 20:59 #1039 von ron

Wie schon mal gesagt:
statt solcher Schnellmalschätzungen
würde ich gern mal ein paar Untersuchungen
der gründlichen Art dazu lesen.
Vermutlich mit mir auch noch andere.

Ich Anderer auch.

Aber wer auf halbem Wege anhält, soll besser keinen Schritt machen: Entweder sucht man eine plausible Chronologie und begründete Zeitstellungen zu formulieren - oder man lässt es sein.

Wer einen Weg gehen will, solang er auch sei, der muss den ersten Schritt machen!
Beim gehen muss man sich orientieren, sein Umfeld beobachten.
Mann könnte sich verlaufen.
Nicht wer weit geht kommt ans Ziel.
Der Weg muss schon der richtige sein. Und wenn ich mich verlaufen habe, muss ich die Richtung korrigieren (nicht unbedingt an den Ausgangspunkt zurückkehren).
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16 Sep. 2009 22:23 #1040 von Allrych
Poetische Rückmeldungen in Gedichtform nützen nichts. Auch nicht Gemeinplätze.

Das Problem in diesem Forum ist: Es gibt kaum Leute, die den Sachen auf den Grund gehen.

Aber wie kann es anders sein, wenn kaum ein halbes Dutzend Leute hier einhängen.

Es bleibt dabei: Die Gotik dauerte etwa zwei Generationen. - Der Geschmack der Zeit ändert schnell.

www.dillum.ch/html/bern_muenster_baugeschichte_neu.htm
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17 Sep. 2009 00:58 #1042 von Tuisto
Wenn der Geschmack immer wechselt und sich nie wiederholt, wie konnte es dann im 19. Jahrhundert zu einer Renaissance der Gotik und Romanik, zum Wiederaufbau zerstörter Burgen und Fertigstellung unvollendeter Kathedralen kommen?

Es ist zwar unwahrscheinlich, wie Prusak richtig schreibt, dass Bauwerke mehrere Jahrhunderte in halbfertigem Zustand als angeblich oftmals unerwünschte Objekte dennoch erhalten wurden, gleichwohl müssen wir ihnen auf Grund historischer Evidenz einige Jahrhunderte seit Baubeginn einräumen.

Für die Gotik scheint hier am Plausibelsten das 16. Jahrhundert. Die Romanik mag 100 Jahre früher begonnen haben.
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17 Sep. 2009 10:29 #1044 von Allrych
Ich glaube, ich habe mich hier in ein Forum für orthodoxe Geschichtswissenschaft verirrt.

Wie kann man erhaltenen romanischen und gotischen Bauten ein Alter von 300 Jahren geben?

Wie kann man einen klar definierten Baustil mehr als zwei Generationen währen lassen?

Nehmen wir den Barock: Dieser begann vielleicht um 1760 und ging schon vor 1789 in den Klassizismus über.

Mehrhundertjährige Gotik und mehrhundertjähriger Barock? - Da gehen wir doch lieber Karten spielen!

www.dillum.ch/html/bern_muenster_baugeschichte_neu.htm
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17 Sep. 2009 10:42 #1045 von prusak
Das Problem ist, dass die ganz kurze Sicht
bereits von Heribert Illig widerlegt wurde.
Und zwar so:

"Die rein auf Textanalyse gegründete Geschichtsnegierung durch Fomenko und seine Getreuen muss selbstverständlich auch mit stratigraphischen Befunden geprüft werden, doch dabei zeigt sich schnell eine völlige Diskrepanz, die Bodenfunde widersprechen Fomenkos Ansichten diametral.
Ich habe schon 1997 [Illig 1997] ein bislang nicht widerlegtes Beispiel gegeben, das nicht nur wie die Stratigraphien von Köln oder Rom oder hundert anderen Städten das einfache Früher-Später zeigt, sondern auch die verstrichene Zeit enthält. Es hat in diesen 10 Jahren nichts an Gewicht verloren, und es erscheint sinnvoll, es an dieser Stelle leicht ergänzt zu wiederholen:
Betrachten wir hierzu Kölns gut erforschte römische Wasserleitungen [Wolff 1993, S. 235-244, 247f]. Das früheste Leitungssystem entstand im +1. Jh. Nur Jahrzehnte später baute man einen fast 100 km langen Kanal in die Eifel. Da die alte Trasse mit der neuen, höheren Rinne überbaut worden ist, ist die Abfolge klar. Die ältere Leitung zeigt außerdem keinen nennenswerten Sinterbelag, ist also nur kurz benutzt worden. Die jüngere Leitung lieferte Jahrhunderte lang Wasser, aber sicher nicht allzu lange über das Ende der römischen Verwaltung im 5. Jh. hinaus.

Spätestens im 11. Jh. benutzte man die Leitung als Steinbruch: Hausteine, zentnerschwere Mörtelbrocken und die mehr als 30 cm starken Sinterablagerungen wurden herausgebrochen. Weil der marmorartige Sinter gut polierbar und die Rundung schon vorgegeben ist, wurde aus ihm auch 2,75 m lange Säulenschäfte für den staufischen Westbau der Kirche St. Georg hergestellt. Dieses Material ist nicht nur in Köln benutzt, sondern regelrecht exportiert worden: bis Maria Laach, bis Werden, bis Soest, Paderborn, Helmstedt, Hildesheim und sogar bis Roskilde in Dänemark [Haberey 1971, S. 109].

Doch Kölns St. Georg hat Besonderheiten: Sein Westbau des 12. Jhs. steht genau auf jener Römerstraße, die von Köln nach Bonn führte; laut Grabungsbefunden ist diese Straße zur Römerzeit dreimal gründlich erneuert worden. Der Westbau selbst blieb immer unvollendet, wie Ansichten der Stadt in verschiedenen Jahrhunderten zeigen [Schäfke 1985, S. 76-99].

Es gibt also keine späteren Bauphasen, denen man die Sintersäulen zuordnen könnte. Nun identifiziert Fomenko das Römische Reich von -82 bis +217 mit der Zeit der Sachsen, Salier und Staufer von 936 bis 1254. Wir können umrechnen: Die erste Wasserleitung stammte dann von ca. 1080, die zweite, längere von ca. 1130. Wie hätte sie für den nun nur noch ca. 20 Jahre späteren Westbau von St. Georg die in Jahrhunderten gebildeten Sintersäulen aus kohlensaurem Kalk liefern können?

Bei dieser Überlegung ist noch gar nicht berücksichtigt, dass St. Georg auf einer belebten, dreimal hergerichteten Ausfallstraße der Römer errichtet worden ist, also schlecht selbst römerzeitlich sein kann. Und wenn die Wasserleitung tatsächlich binnen 20 Jahren wundersam rasche Kalkablagerungen gebildet hätte, obwohl das Wasser keineswegs aus warmen Quellen stammt; woher hätte ein römisch-romanisches Köln sein Wasser bekommen, wenn diese wichtigste Leitung einfach wegen des Steinabbaus demoliert worden wäre?

Insofern erweist sich Fomenkos Theorie rasch als Versuch, die Geschichte ohne Rücksicht auf die vorhandene stratigraphische Evidenz umzuschreiben. Sie ist also kein Versuch einer Erklärung, sondern historisch verbrämte Ideologie."

Ich weiß nicht, wie schnell solche Sintersteine sich bilden.
Ich bilde mir aber ein, dass eine "sanfte"
Kürzung auch dieses Problem erklären kann, die
radikale Tour aber an der Realität scheitern wird.
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