Ihr Berliner Narrenspiegel und Grandgoschiers wisst wohl nicht, worum es in diesem Forum geht?
Ganz sicher nicht um Anamorphosen, auch nicht um Dichtkunst, sondern um Geschichts- und Chronologiekritik!
Abgesehen davon, dass Fischart der genialste deutsche Wortspieler seiner Zeit war, interessiert uns an ihm das Thema "Geschichtsklitterung" und weshalb er diesen Titel für seine Gargantua-Übersetzung wählte.
Gargantua war ein deftiger Erziehungs- und Bildungsroman für die cleveren Leute. Wenn sowohl Rabelais als auch Fischart im 16. Jahrhundert lebten, dann kann man Pfister, CD und Ingwer auf den Mond schießen.
In ihren Texten verarbeiten sie die gesamte Literatur von der Antike bis in ihre Zeit. Von der Antike bis in ihre Zeit mögen vielleicht nur 200 bis 300 Jahre vergangen sein, aber die sind nun mal vergangen. Kammeier als auch Müller lägen demnach richtig, wenn sie diese Stories etwas ab dem 13. Jahrhundert als greifbar definieren.
Die genannten wollen die Schriftlichkeit ins 18. Jahrhundert schieben oder ist das etwa den Lesern hier entangen?
Nun kann man sich aber auch die Texte näher anschauen und fragen, stammen sie wirklich aus dem 16. Jahrhundert oder spiegeln sie nicht die Welt des 18. Jahrhunderts? Durfte man denn schon im 16. Jahrhundert so herrlich polemisch schreiben?
Werfen wir sodenn gleich einen Blick ins erste Kapitel und stellen dort fest, dass zu Fischart Zeit Europa genauso wild durcheinander gewürfelt ward wie derzeit und schon damals waren die Herrscher ursprünglich nichts anderes als dreckige Knechte:
"Inn massen solchs Plato beweiset, daß kein König sey, der nit von eim Knecht herkomme, und im gegenspiel, wann man hinauff schielet, zehlet und zielet, ein Knecht von eim König, ja offt Redliche von unredlichen, dann die redlichen sehen, wo es den unredlichen fehlet: unnd wer will den Reimen zu Nörnberg abwischen? Ich thus diß Jahr nicht: auffs ander Jar kommen die Heyden. Was? kommen nicht die Türckische Keiser von dem Arabischen Cameltreiber Machomet? Die Persischen König von eim Königlichen Köchertrager? Sind nit die Mamaluckischen Knecht in Egypten regierende Soldan gewesen? Sind nit die erst abgestorbene König inn Poln von eim Litthauischen Knecht Gedimin, der seinen Herrn erstochen, kommen? Sind nicht ein gut theil Päpst Calmäuser, Spänhocken, Parteckenstecher unnd Partemsinger gewesen, ja Pfaffensön unnd Nonnenkinder? Unnd kommen nit der mehrtheil Churwallischer Spatzacaminer von Römischen Geschlechtern auß Tuscanien, so müst Tschudi liegen. Und was ists wunder. Angesehen die wunderbare veränderung, und abwechßlung der Königreich unnd Keyserthumb, von Assiriern und Chaldeern zu den Meden, von den Meden zu den Persen, von diesen zu den Macedoniern und Griechen, von Macedoniern auf die Römer, von Römern wider auff die Griechen, von Griechen zu den Teutschen Francken unnd Franck Teutschen: nun vom Herren zum Knecht, nun vom Knecht zum Herren: nun von Weibern auff die Mann, nun von Mannen auff die Weiber (da laß ichs bleiben) wie in Behem unnd bei den Amazonischen Metzen unnd Hetzen oder Hexen: daß ich jetzt des Türcken geschweige, und heut der Portugaleser inn Indien, der Indianer inn Moren, der Moranen in Spanien, der Spanier inn Italien, der Italiener in Franckreich, der Juden undern Christen, der Schotten in [34] Preussen, der Franzosen in Teutschland, der Engelländer im Niderland, der Teutschen in Moscau, der Moscowiter inn Polen, der Polen in Ungarn, der Ungarn inn Türckei, der Türcken inn der Christenheit, der Christen in der Türckei: Schreibt doch Merlin Coccai inn seinen Nuttelverssen, Plus Roma parit quàm Francia Gallos: nemlich in illo tempore, da man bald hernach die Sicilisch Vesper hat gespilt.
Also kugelts im kreiß herumb, wie solt es nicht kegel geben: Ja daß ich geschweig des verreisens, migrirens, verruckens unnd auffbrechens etwann gantzer Länder unnd Völcker von wegen plagung der Mäus und Schnacken. Darvon gantze Postillen von Noe Kasten auß vorhanden, der Goten, Wandeln, Langparten, Nortmannen, Saracenen, Marckmannen, Wenden, Sclaven, Rugen, Walen, die untereinander gehurnauset, gewalet, gewandelt und gewendet haben, wie ein Hafen voll Beelzebubmucken: also daß es dem Wolffio im Scipionischen Himmel noch ein lust herab zu sehen gibt, daß die Mirmidonische zweibeynige Omeysen hie unten noch also durch einander haspeln unnd graspeln. Ja welchs Land lauffen nicht die Schwaben auß? fragt doch jener Würtenberger wie Bebel meld, so bald er inn Asien nur auß dem Mörschiff stig. Ist nicht eyn gut gesell von Beblingen hie? So ist die gemein sag, Schwaben geb der gantzen Welt genug Huren. Und was gibts gestochen lebens und angststich unterm Weibsvolck, wann man ein Land und Statt mit gewalt gewinnet. Hat doch der inn den Secreten der Finantzen inn Franckreich allein von den treissig letzten Jaren her, weil die Krieg daselbst gewährt, zwölff tausent unnd trey hundert genotzüchtigter unnd geschwächter Frauen unnd Jungfrauen gerechenet: Wie viel haben dann die Böckstinckenden Spanier seither im Niderland vergifft? Sie habens weit weit über den Keyser Proculum gemacht, derselb schrib an den Römischen Raht, für eyn Triumpffwürdige that, er für sein Person het inn Sarmatien, das ist Polen, inn fünffzehen Nächten unnd Tagen hundert gefangener Jungfrauen zu Frauen gemacht. Ey des schönen Fotzenhelmsstechens, Daß man ihm eine für ein Prill auff die Naß setz, so scheuen ihn auch seine Kinder, und schreien desto minder.
Und inn was Land ziehen nicht die Zigeiner, Kauffleut, [35] Studenten, Becken, Kämetfeger, Handwercksgesellen, Allgäuische Maurer, Schnitter, Elsessische Betler, Pilger, Stazionirer, farende Schuler, Kriegsleut, Juden. Item Landraumige: Dann wa wer der Ronzefall bewont, wann man nit in Franckreich Oren abschnit? Wa het der Türck so viel Janitzerschützen, wann nicht Mamalucken weren? wa hett der Reuß so viel Teutschen, wann nicht Polen, Schweden und die Seestätt vielen das Land verbieten: Wo wer die neu Welt bewont, führ man nicht zu gewissen jaren Banditen inn die Neuen Insuln."
Fischart kennt die neuen Inseln, nennt aber noch nicht Amerika beim Namen. Das ist ein Hinweis darauf, dass er tatsächlich Ende des 16. Jahrhundert lebt und schreibt.
"Man sagt, und ist kaum nicht war, daß mehr Schweitzer in Franckreich, als in ihrem Land werden aufferstehen, gleich wie mehr Frantzosen in Sicilien und Italien, als in Gasconien: mehr Balduinischer Christen im gelobten Land, dann inn Flandern: und mehr Engelländer inn Normandien, als inn Wallien: mehr der alten Römer am Rhein, als umb Polesein: mehr Spanier inn Wirtenberg und Niderland, als umb Miral kamp: Mehr Portugaler im Mör als zu S. Jacob, Mehr Westfäling inn Liffland als Widerteuffer zu Mönster: Wie solt man nicht inn solcher Babilonischen trennung die Kinder verwechsseln, die Frauen vertauschen, muß doch mancher seine zu Blois bei den Mönchen suchen, Es heyßt, wilt dein Hauß behalten sauber, so verwars vor Pfaffen unnd Tauben: unnd Peter Schott reimt."