Bitte an Ingwer, künftig konkret zu werden
09 Jan. 2011 19:22 - 09 Jan. 2011 19:36 #3271
von Tuisto
Tuisto antwortete auf Aw: Bitte an Ingwer, künftig konkret zu werden
Lieber Ingo, nicht dass Du denkst, die hier vorgetragene Bitte an Dich sei eine Attacke gegen Dich.
Mir geht es darum, dass wir, wenn wir (Theater-)stücke kreieren, die wir, mit Lévi-Strauss "pensée sauvage" nennen können - ein durch und durch kabbalistisches Verfahren, Neues aus Altem zu basteln - wir dennoch Spielregeln brauchen, sonst können wir nicht gemeinsam spielen oder die von jedem Einzelnen verfassten Stücke nicht richtig oder auch garnicht verstehen.
Einen erfundenen Goethe verstehe ich zum Beispiel nicht. Ebensowenig einen erfundenen Napoleon oder augrund vielfältig vorhandener Dokumente nachweislich gelebt habende Künstler.
Diese Spielregel heißt darum "Offen legen der Argumente". Wir wollen nicht nur Bastler sein, sondern Ingenieure:
Der Kritiker als Bastler und Kabbalist: ars poetica cabbalistica
De Saussures Anagrammtheorie hat sicher dazu beigetragen, dass sich die strukturalistische
Theorienbildung auf das Terrain kabbalistischer Hermeneutik wagte, deren Wirkung sich
auch dort noch festzustellen ist, wo nicht ausdrücklich von Kabbala die Rede ist – so etwa in La Pensée sauvage (1962) von Claude Lévi-Strauss, wo das mythische Denken als „eine Art
intellektuelles Basteln“ (une sorte de bricolage intellectuel ) bezeichnet wird.
Das mythische Denken verfahre wie der Bastler (bricoleur), der das vorgefundene
Material kombiniere und auf diese Weise sein Universum konstituiere, das er fortan
durchmesse. Dies Form der Mythopoesis charakterisiere das ‚primitive’ Denken, la pensée
sauvage. In der zivilisierten Welt stehe dem Bastler der Ingenieur gegenüber, der einen
transzendentalen Standpunkt einnehme, von dem aus er einen neuen Sinnhorizont stifte – man
könnte auch vereinfacht sagen, dass der Ingenieur ein neues System einrichtet.
"Anders als der Bastler schaffe sich der Ingenieur das Werkzeug, das er benötige, um seine
Ziele zu verwirklichen, er überschreite somit das geschlossene Universum (l’univers clos) des Bastlers, der sich mit den verfügbaren Mitteln (moyens du bord ) bescheide. Und mit Blick auf die nachstehende Passage kann man hinter der Tätigkeit des Bastelns (bricolage), die bei Lévi-Strauss über die Mythopoesis hinausgehend Züge einer Mystik annimmt, durchaus die Bemühung des Kabbalisten erkennen, der mit seiner Praxis niemals an ein endgültiges Ziel
gelangt:
„[…] les signifiés se changent en signifiants, et inversement. Cette formule, qui pourrait servir de définition au bricolage, explique que, pour la réflexion mythique, la totalité des moyens disponibles doive aussi implicitement inventoriée ou conçue, pour que puisse se définir un résultat qui sera toujours un compromis entre la structure de l’ensemble instrumental et celle du projet. Une fois réalisé, celui-ci sera donc inévitablement décalé par rapport à l’intention initiale (d’ailleurs simple schème), effet que les surréalistes ont nommé avec bonheur ‘hasard objectif’. Mais il y a plus : la poésie du bricolage lui vient aussi, et surtout, de ce qu’il ne se borne pas à accomplir ou exécuter; il ‘parle’, non seulement avec les choses […], mais aussi au moyen des choses: racontant, par le choix qu’il opère entre des possibles limités, le caractère et la vie de son auteur. Sans jamais remplir son projet, le bricoleur y met toujours quelque chose de soi“.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf einen anderen Schweizer hinweisen, der einige Zeit vor Christoph Pfister das Anagrammatische Spiel auf Legenden anwandte, vielleicht kennt er ihn ja auch:
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts reflektiert ein berühmter Schweizer Gelehrter über
Entstehung und Verbreitung von Legenden:
„Den Adel der Sprache wie der Legenden macht es aus, dass sie […] nur Elemente zur
Verfügung zur stellen, welche von ihnen beigebracht wurden und einen beliebigen Sinn haben,
diese vereinen und beständig einen neuen Sinn daraus ableiten. Es herrscht ein gewichtiges
Gesetz, das man wohl bedenken sollte, bevor man auf die Falschheit dieser Konzeption von
der Legende schließt: Nirgends sehen wir etwas aufblühen, das nicht eine Kombination aus
inerten Elementen wäre, und nirgends sehen wir, dass die Materie etwas anderes wäre das die
beständige Nahrung, die vom Denken verdaut, geordnet und beherrscht wird, welches sich
jedoch ihrer nicht entledigen kann“
Mit dieser Erkenntnis machte sich Ferdinand de Saussure auf die Suche – wie es bei Jean
Starobinski heißt – nach mots sous les mots, nach Wörtern unter Wörtern, um schließlich
klassische Texte mittels Anagrammen und „Hypogrammen“ (eine Wortschöpfung de
Saussures) neu zu deuten. Diese in nicht zur Veröffentlichung bestimmten Aufzeichnungen
und Briefen formulierte Anagramm-Theorie wurde in den 1960er und 1970er Jahren durch
Jean Starobinski und Peter Wunderli zutage gefördert;79 sie stieß auf das Interesse von
Roman Jakobson und über die Arbeiten Julia Kristevas sollte sie Eingang in die
poststrukturalistische Theoriendiskussion im Umkreis der Gruppe Tel quel finden.
In den romanischen Literaturen nach dem Zweiten Weltkrieg begann man sich für
mathematische Kombinatorik und Mystik zu interessieren, wobei die Kabbala oft in einem
Atemzug mit Tarot und diversen östlichen „Mystiken“ genannt wird. Maurice Blanchot, ein
Freund des französischen Philosophen und Talmudexegeten Lévinas, gab in einer
Besprechung von Borges’ Novellenbändchen El Aleph (1949) eine ebenso einfache wie
einleuchtende Erklärung für diese „Mode: die Faszination, die von den Möglichkeiten
unendlicher Kombinationen und damit auch unendlicher Semiosen auf der Basis eines
endlichen Materialbestandes ausgehe. Kurz: das Endliche, das das Unendliche generiert."
Nicht wegzudenken aus der jüngeren französischen Geistesgeschichte ist der selten
offen eingestandene Einfluss kabbalistischer Hermeneutik in den sciences humaines: Dem
Text zugewandt begreift sie sich als eine Tradition der Auslegung, die mit dem
kommentierenden Erschließen des biblischen Textes diesem immer auch neue
Bedeutungsdimensionen und damit neue Texte hinzufügt – weil die Thora die Offenbarung
der endgültigen Wahrheit verweigere.
Die Wahrheit wird als Gegenstand einer unzugänglichen Ur-Schrift gesehen. An diese kabbalistische Praxis erinnern die Prämissen von Foucaults Archéologie du savoir.
Die „Archäologie“ wird hier als eine Methode geisteswissenschaftlicher Arbeit eingeführt, die sich nicht darauf beschränke, das in den Quellen Gesagte als unumstößliche Aussage anzunehmen; vielmehr eigne sie sich diese Quellen in einer Form der réécriture an, die das Geschriebene nach bestimmten Regeln verändere und somit statt dem „Geheimnis“ auf den Grund zu gehen nunmehr den (diese Regeln stiftenden) discours selbst zum Gegenstand systematischer Betrachtung mache:
En d’autres termes elle [l’archéologie] n’essaie pas de répéter ce qui a été dit en le rejoignant dans son identité même. […] Elle n’est rien de plus et rien d’autre qu’une réécriture: c’est-àdire dans la forme maintenue de l’extériorité, une transformation réglée de ce qui a été déjà écrit. Ce n’est pas le retour au secret même de l’origine; c’est la description systématique d’un discours-objet.
Daher noch einmal und wirklich eindringlich lieber Ingo:
Du musst nicht dem Geheimnis auf den Grund gehen, aber die Regeln bekannt geben, nach denen Du Deine Form der "réécriture" vornimmst und die entsprechenden Begründungen dafür liefern!
Wenn du das aber nicht tun willst, dann solltest Du hier lieber weg bleiben, anstatt uns eine Bärliner Bärendienst zu erweisen, der womöglich bis auf Allrych alle übersäuert. Dieses Forum hat nämlich auch eine Reputation, die nicht völlig außerhalb wissenschaftlicher Methodik liegt, wie beiligender Artikel über kabbalistische Wissenschaft belegt, auch wenn das universitäre Geschichts-Dogmatiker nicht begreifen wollen.
Es liegt in Deiner Hand: Du kannst das Forum mit Deiner Anwesenheit und Deinen vielfältigen Umschreibungen der Geschichte zweifelsfrei auch versüßen!
Der ganze, nicht allzulange, aber unbedingt lesenswerte Text findet sich hier:
tillkuhnle.homepage.t-online.de/Text11.p...oo=0.501853026402485
Mir geht es darum, dass wir, wenn wir (Theater-)stücke kreieren, die wir, mit Lévi-Strauss "pensée sauvage" nennen können - ein durch und durch kabbalistisches Verfahren, Neues aus Altem zu basteln - wir dennoch Spielregeln brauchen, sonst können wir nicht gemeinsam spielen oder die von jedem Einzelnen verfassten Stücke nicht richtig oder auch garnicht verstehen.
Einen erfundenen Goethe verstehe ich zum Beispiel nicht. Ebensowenig einen erfundenen Napoleon oder augrund vielfältig vorhandener Dokumente nachweislich gelebt habende Künstler.
Diese Spielregel heißt darum "Offen legen der Argumente". Wir wollen nicht nur Bastler sein, sondern Ingenieure:
Der Kritiker als Bastler und Kabbalist: ars poetica cabbalistica
De Saussures Anagrammtheorie hat sicher dazu beigetragen, dass sich die strukturalistische
Theorienbildung auf das Terrain kabbalistischer Hermeneutik wagte, deren Wirkung sich
auch dort noch festzustellen ist, wo nicht ausdrücklich von Kabbala die Rede ist – so etwa in La Pensée sauvage (1962) von Claude Lévi-Strauss, wo das mythische Denken als „eine Art
intellektuelles Basteln“ (une sorte de bricolage intellectuel ) bezeichnet wird.
Das mythische Denken verfahre wie der Bastler (bricoleur), der das vorgefundene
Material kombiniere und auf diese Weise sein Universum konstituiere, das er fortan
durchmesse. Dies Form der Mythopoesis charakterisiere das ‚primitive’ Denken, la pensée
sauvage. In der zivilisierten Welt stehe dem Bastler der Ingenieur gegenüber, der einen
transzendentalen Standpunkt einnehme, von dem aus er einen neuen Sinnhorizont stifte – man
könnte auch vereinfacht sagen, dass der Ingenieur ein neues System einrichtet.
"Anders als der Bastler schaffe sich der Ingenieur das Werkzeug, das er benötige, um seine
Ziele zu verwirklichen, er überschreite somit das geschlossene Universum (l’univers clos) des Bastlers, der sich mit den verfügbaren Mitteln (moyens du bord ) bescheide. Und mit Blick auf die nachstehende Passage kann man hinter der Tätigkeit des Bastelns (bricolage), die bei Lévi-Strauss über die Mythopoesis hinausgehend Züge einer Mystik annimmt, durchaus die Bemühung des Kabbalisten erkennen, der mit seiner Praxis niemals an ein endgültiges Ziel
gelangt:
„[…] les signifiés se changent en signifiants, et inversement. Cette formule, qui pourrait servir de définition au bricolage, explique que, pour la réflexion mythique, la totalité des moyens disponibles doive aussi implicitement inventoriée ou conçue, pour que puisse se définir un résultat qui sera toujours un compromis entre la structure de l’ensemble instrumental et celle du projet. Une fois réalisé, celui-ci sera donc inévitablement décalé par rapport à l’intention initiale (d’ailleurs simple schème), effet que les surréalistes ont nommé avec bonheur ‘hasard objectif’. Mais il y a plus : la poésie du bricolage lui vient aussi, et surtout, de ce qu’il ne se borne pas à accomplir ou exécuter; il ‘parle’, non seulement avec les choses […], mais aussi au moyen des choses: racontant, par le choix qu’il opère entre des possibles limités, le caractère et la vie de son auteur. Sans jamais remplir son projet, le bricoleur y met toujours quelque chose de soi“.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf einen anderen Schweizer hinweisen, der einige Zeit vor Christoph Pfister das Anagrammatische Spiel auf Legenden anwandte, vielleicht kennt er ihn ja auch:
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts reflektiert ein berühmter Schweizer Gelehrter über
Entstehung und Verbreitung von Legenden:
„Den Adel der Sprache wie der Legenden macht es aus, dass sie […] nur Elemente zur
Verfügung zur stellen, welche von ihnen beigebracht wurden und einen beliebigen Sinn haben,
diese vereinen und beständig einen neuen Sinn daraus ableiten. Es herrscht ein gewichtiges
Gesetz, das man wohl bedenken sollte, bevor man auf die Falschheit dieser Konzeption von
der Legende schließt: Nirgends sehen wir etwas aufblühen, das nicht eine Kombination aus
inerten Elementen wäre, und nirgends sehen wir, dass die Materie etwas anderes wäre das die
beständige Nahrung, die vom Denken verdaut, geordnet und beherrscht wird, welches sich
jedoch ihrer nicht entledigen kann“
Mit dieser Erkenntnis machte sich Ferdinand de Saussure auf die Suche – wie es bei Jean
Starobinski heißt – nach mots sous les mots, nach Wörtern unter Wörtern, um schließlich
klassische Texte mittels Anagrammen und „Hypogrammen“ (eine Wortschöpfung de
Saussures) neu zu deuten. Diese in nicht zur Veröffentlichung bestimmten Aufzeichnungen
und Briefen formulierte Anagramm-Theorie wurde in den 1960er und 1970er Jahren durch
Jean Starobinski und Peter Wunderli zutage gefördert;79 sie stieß auf das Interesse von
Roman Jakobson und über die Arbeiten Julia Kristevas sollte sie Eingang in die
poststrukturalistische Theoriendiskussion im Umkreis der Gruppe Tel quel finden.
In den romanischen Literaturen nach dem Zweiten Weltkrieg begann man sich für
mathematische Kombinatorik und Mystik zu interessieren, wobei die Kabbala oft in einem
Atemzug mit Tarot und diversen östlichen „Mystiken“ genannt wird. Maurice Blanchot, ein
Freund des französischen Philosophen und Talmudexegeten Lévinas, gab in einer
Besprechung von Borges’ Novellenbändchen El Aleph (1949) eine ebenso einfache wie
einleuchtende Erklärung für diese „Mode: die Faszination, die von den Möglichkeiten
unendlicher Kombinationen und damit auch unendlicher Semiosen auf der Basis eines
endlichen Materialbestandes ausgehe. Kurz: das Endliche, das das Unendliche generiert."
Nicht wegzudenken aus der jüngeren französischen Geistesgeschichte ist der selten
offen eingestandene Einfluss kabbalistischer Hermeneutik in den sciences humaines: Dem
Text zugewandt begreift sie sich als eine Tradition der Auslegung, die mit dem
kommentierenden Erschließen des biblischen Textes diesem immer auch neue
Bedeutungsdimensionen und damit neue Texte hinzufügt – weil die Thora die Offenbarung
der endgültigen Wahrheit verweigere.
Die Wahrheit wird als Gegenstand einer unzugänglichen Ur-Schrift gesehen. An diese kabbalistische Praxis erinnern die Prämissen von Foucaults Archéologie du savoir.
Die „Archäologie“ wird hier als eine Methode geisteswissenschaftlicher Arbeit eingeführt, die sich nicht darauf beschränke, das in den Quellen Gesagte als unumstößliche Aussage anzunehmen; vielmehr eigne sie sich diese Quellen in einer Form der réécriture an, die das Geschriebene nach bestimmten Regeln verändere und somit statt dem „Geheimnis“ auf den Grund zu gehen nunmehr den (diese Regeln stiftenden) discours selbst zum Gegenstand systematischer Betrachtung mache:
En d’autres termes elle [l’archéologie] n’essaie pas de répéter ce qui a été dit en le rejoignant dans son identité même. […] Elle n’est rien de plus et rien d’autre qu’une réécriture: c’est-àdire dans la forme maintenue de l’extériorité, une transformation réglée de ce qui a été déjà écrit. Ce n’est pas le retour au secret même de l’origine; c’est la description systématique d’un discours-objet.
Daher noch einmal und wirklich eindringlich lieber Ingo:
Du musst nicht dem Geheimnis auf den Grund gehen, aber die Regeln bekannt geben, nach denen Du Deine Form der "réécriture" vornimmst und die entsprechenden Begründungen dafür liefern!
Wenn du das aber nicht tun willst, dann solltest Du hier lieber weg bleiben, anstatt uns eine Bärliner Bärendienst zu erweisen, der womöglich bis auf Allrych alle übersäuert. Dieses Forum hat nämlich auch eine Reputation, die nicht völlig außerhalb wissenschaftlicher Methodik liegt, wie beiligender Artikel über kabbalistische Wissenschaft belegt, auch wenn das universitäre Geschichts-Dogmatiker nicht begreifen wollen.
Es liegt in Deiner Hand: Du kannst das Forum mit Deiner Anwesenheit und Deinen vielfältigen Umschreibungen der Geschichte zweifelsfrei auch versüßen!
Der ganze, nicht allzulange, aber unbedingt lesenswerte Text findet sich hier:
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