Frankreich: Nachtrag zur Königsreihe

Ein Nachtrag zu den Artikeln zur französischen Königsreihe, insbesondere zu Teil 2.

Frankreich 800-1600: Die Königsreihe, Teil 2

Es geht um das sich durch die Namensgruppen ergebene Bild. Ich möchte noch einmal genauer erklären, worum es dabei ging und welchen Zweck es wohl erfüllt; außerdem ein paar Ergänzungen vornehmen, Stichworte sind hier Mätressen, Napoleon, Jungfrau von Orléans.

Nochmals das Bild beschrieben: Die Namen der französischen Königsreihe von 814 bis 1589 lassen sich in 12 Gruppen gliedern. Diese bilden untereinander geschrieben ein zweigeteiltes Bild, worin man unschwer oben ein großes Venussymbol oder Anch, unten einen kleineren Reichsapfel oder allgemeiner  ein Kugelkreuz erkennen kann.

Hervorgehoben werden dabei die Könige Heinrich II. und Karl III.; über deren Herrschaftsdaten gelangt man in mehreren Rechenschritten zu verschiedenen historischen Figuren und Vorgängen, die durch das entdeckte Bild beschrieben werden können:

  • Als Hauptfigur Ludwig IX. der Heilige mit Mutter als Regentin, hilfreicher Frau, Reliquienkult, Kreuzzügen und dem übermächtigen Ägypten;
  • Christus mit der Gottesmutter, Geburt, Flucht nach Ägypten, Kreuzigung;
  • Alexander der Große mit der Ostmacht Persien, Ägypten, seinen Frauen und Söhnen;
  • Kaiser Herakleios mit Verlust und Rückgewinn des durch die Perser geraubten Kreuzes;
  • Frühe Karolinger mit einflussreichen Müttern/Frauen/Konkurrentinnen.

Ich deute die entdeckten Zusammenhänge so: zunächst wurde von den Erfindern durch die Herrscherreihe ein Bild konstruiert, das einen wichtigen Aspekt der jüngeren französische Geschichte darstellen kann und zugleich auf andere bereits vorliegende Abschnitte des Geschichtsromans übertragbar ist. Beispiel: Zum einen die Regentschaft starker Königswitwen für ihre noch minderjährigen Söhne im 17. Jahrhundert; zum anderen der in seinen Grundzügen vermutlich schon recht alte Alexanderroman: der junge König bricht zum Kriegszug gegen die Weltmacht im Osten auf; diese zwei ganz unterschiedlichen Inhalte lassen sich beide in unserem Bild unterbringen. Beide Ereignisse konnte man nun rechnerisch miteinander verbinden (über Heinrich/Karl, das Konzept der 1&3er-Zahlen und wenige Rechenschritte), wozu Jahreszahlen mit Ereignissen belegt werden mussten (hier z.B. 893 Antritt Karls, 1559 Tod Heinrichs) – oder besser gesagt durften, es ging ja nicht zuletzt darum, etliche leere Jahre und Jahrhunderte aufzufüllen.

So ließ sich also die jüngere („reale“) Vergangenheit mit den alten Mythen verknüpfen. Außerdem konnte das Bild als Vorlage benutzt werden, um diese Mythen mit Inhalten und Jahreszahlen zu unterfüttern (Alexanders Frauen und Söhne) oder um ganz neu erschaffene Figuren auszugestalten, z.B. die frühen Karolinger oder Ludwig den Heiligen. Mit letzterem wurde zudem eine große Traditionslinie für das französische Königtum aufgebaut: Christus – Ludwig der Heilige als „Abbild Gottes“ – das Haus Bourbon mit seinen Ludwigen.

Wie erwähnt vermutete ich als Ausgangspunkt für das Bildkonzept zwei machtbewusste französische Königswitwen des 17. Jahrhunderts (die es so womöglich wirklich gegeben hat) nebst ihren jungen Söhnen und beratenden Kardinälen: Maria von Medici mit Sohn Ludwig XIII. und Kardinal Richelieu, sowie Anna von Österreich mit Sohn Ludwig XIV. und Kardinal Mazarin.

Wichtig ist mir nun der Hinweis, dass einflussreiche Frauen in Frankreich auch später eine große Rolle spielen. Zu nennen wären hier zunächst die königlichen Mätressen, v.a. Damen Maintenon (1635-1719), Montespan (1640-1707) und Pompadour (1721-1764). Diese konnten ebenfalls als (zusätzliche) Anregung des Bildes gedient haben, dann freilich könnte die Geschichtserfindung erst im 18. Jahrhundert beendet worden sein.

Man kann selbst das 18. Jahrhundert hinter sich lassen und sich Napoleon vornehmen, zu dem unser Bild ebenfalls sehr gut passt. Dieser General und Kaiser von Weltformat (> Reichsapfel)

  • scheiterte 1798 wie Ludwig der Heilige auf seinem Ägyptenfeldzug (> großes Anch), einer Gefangennahme entging er nur knapp;
  • liebte zunächst mit Josephine Beauharnais eine ältere Frau (> große Venus);
  • heiratete dann (als dynastischer Emporkömmling) Marie-Louise aus dem österreichischen Kaiserhaus mit seiner uralten Tradition (> große Venus);
  • erlitt seine entscheidende Niederlage in Russland, der Großmacht im Osten (> große Venus).

Eine Geschichtserfindung, die die Geschehnisse um Napoleon einbezieht und daher frühestens 1815 abgeschlossen sein konnte, ist wahrscheinlich für die Meisten unvorstellbar. Der Autor will zumindest andeuten, dass es leise Hinweise in diese Richtung gibt.

Zuletzt muss noch eine große, vielleicht die größte Frauengestalt der französischen Geschichte Erwähnung finden: Jeanne d’Arc, auch Johanna von Orléans oder Jungfrau von Orléans genannt, in der finstersten Stunde des Hundertjährigen Krieges erschienene Retterin Frankreichs.

"1429 verhalf Johanna dem späteren französischen König Karl VII. bei Orléans zu einem Sieg über Engländer und Burgunder, anschließend geleitete sie ihn zur Königssalbung nach Reims. 1430 wurde sie von den Burgundern gefangen genommen und an die Engländer ausgeliefert, in einem kirchlichen Verfahren verurteilt und 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt."  -  wikipedia, bearbeitet.

An der von Johanna gebrachten Kriegswende hatte Karl VII. kaum Anteil, er war Nutznießer im Hintergrund. Hier lässt sich wieder unser Bild anwenden.

Nun liegt Johannas Wirkungszeit 1429-1431 mittig zwischen zwei anderen hier erwähnten mächtigen Frauen, nämlich Blanche von Kastilien und Maria von Medici. Und zwar genau im Abstand von je 200 Jahren, wenn man die bedeutendsten Abschnitte von deren Regentschaftszeiten nimmt:

  • 1229-1231: Blanche siegt 1229 entscheidend im Kreuzzug gegen die ketzerischen Albigenser; 1230 kann sie die Invasion des englischen Königs abwehren; 1231 schlägt sie einen Aufstand untreuer Barone nieder und befriedet das Land endgültig.
  • 1429-1431: Johannas Triumph über die Engländer, Gefangennahme und Hinrichtung.
  • 1629-1631: Kardinal Richelieu, politischer Ziehsohn und nun Erzfeind der Maria von Medici, beendet 1629 die politische Autonomie der von England unterstützten Hugenotten; Maria verliert 1630 den Machtkampf mit ihm und muss 1631 ins Ausland fliehen.

Von den drei starken Frauen hat eine auf ganzer Linie Erfolg, die zweite erlebt Triumph und Untergang (wodurch sie immerhin zur Märtyrerin und späteren Heiligen wird), die dritte hat nur mittelbaren Erfolg und muss dann schmählich das Feld räumen. Dreimal werden die Engländer, zweimal Ketzer besiegt (Albigenser, Hugenotten), die aber 1429-1431 fehlen.

Interessant nun, dass diese französischen Ereignisse in den Jahren 1431 und 1631 durch deutsche Ereignisse ergänzt werden. 1431 siegen die ketzerischen Hussiten in der Schlacht bei Taus, womit die Hussitenkreuzzüge endgültig gescheitert sind. Quasi als erneuter Rückschlag des Pendels wird 1631 die lutherische (Ketzer-)Hochburg Magdeburg an der Elbe durch katholische Truppen völlig niedergebrannt. In Magdeburg klingt die Magd an, wir haben hier also sozusagen eine verbrannte, vormals starke Frau, entsprechend Johanna 200 Jahre zuvor. Die Elbe, etymologisch mit lateinisch albus (weiß) verwandt, verweist auf Blanche (blanc, frz. für weiß) und die Albigenser, man kann auch Albion hinzufügen, den Namen für England/Großbritannien. Themen des Geschichtsromans überspannen anscheinend nicht nur Zeiträume, sondern überspringen öfters auch Ländergrenzen. Hier hat man sich m.E. bei Aspekten des Jahres 1631 bedient, um damit die frühere Jahrhunderte auszustatten.

Dem Autor ging es hier darum zu zeigen, dass auch Johanna von Orléans mittelbar Teil der durch Königsreihe und Bild aufgespannten Verknüpfungen ist; sie wohl erst nach der Bilderstellung zu einer derart bedeutenden Figur aufgebaut worden.