27 Feb. 2007 |
DIE GESCHICHTE AUF DEM PRÜFSTAND Eugen Gabowitsch St.-Peterburg, Verlagshaus "Neva", 472 S., 2005 ISBN: 5-7654-4398-2 erschienen in russischer Sprache (Originaltitel: Istorija pod snakom voprossa) Autorisierte Übersetzung von Sören Kliem (Dresden) Kapitel 10: Der geniale Schöpfer der modernen Chronologie: Joseph Justus Scaliger . Gäbe es keine Chronologie, so müsste man sie erfinden. . Marx, Karl: Geschichte – Heroin für das Volk. . Gesammelte Werke, Band 128, S. 27. Inhalt Teil 1. Einleitung Der Vater der Chronologie: der Wahrsager Scaliger Scaliger und andere über Scaliger Diese merkwürdige Autobiographie Der weise Gelehrte Scaliger (aus Wainstein, S.375-377) Kritik an und Verherrlichung von Scaliger im Buch von Ideler. Teil 2. Scaliger und sein Neuentdecker Fomenko Moderne Scaligerkunde Der Weg vom Autodidakten zum Experten Krieger und Gelehrter Die Berichtigung des unkorrigierbaren chronologischen Schatzes. Teil 3. Chronologiekonstrukteur Scaliger Mein ergebener Freund Isaac Casaubon Eine sensationelle „Entdeckung“ Das Rätsel der „alten“ Manuskripte Schlussfolgerung: Über die Unmöglichkeit des Unmöglichen Literatur Teil 2. Fortsetzung des Kapitels 10 Scaliger und sein Neuentdecker Fomenko Die Unsinnigkeit der Beschäftigung mit chronologischen Systemen ohne Überprüfung ihrer Übereinstimmung mit der realen Vergangenheit ist für jeden einfachen Menschen so offensichtlich (außer einem kleinen Kreis der „Eingeweihten“), dass die ganze Arbeit dieser Autoren in die Sphäre der wissenschaftlich-phantastischen Untersuchungen abgleitet. Sie bleibt eigentlich nur durch ihre zahlreichen Selbstenthüllungen interessant, die allerdings die Autoren selbst nicht bemerken. Trotz dieser Selbstbeschränkung (oder vielmehr Anerkennung der eigenen Inkompetenz) kommen die Autoren nicht ohne einen Seitenhieb in Richtung des Begründers der modernen Neuen Chronologie aus: „Es ist anzumerken, dass es trotz einer jahrhundertealten Geschichte der chronologischen Forschungen in diesem Bereich nicht wenige dunkle Stellen und weiße Flecken gibt. Dies dient als Anlass für das Erscheinen unmöglichster chronologischer Auslassungen, deren typisches Beispiel die Arbeiten von A. Fomenko sind.“ Diese rein sowjetische Versicherung des Glaubens an die Prinzipien des Marxismus-Leninismus (Pardon, der Positionen der offiziellen Wissenschaft unter dem Banner der traditionellen Geschichte) geht einher mit der folgenden lächerlichen Erklärung der Autoren: „Leider ist es der überwiegenden Mehrheit der professionellen Historiker einfach um die Zeit zu schade, die wissenschaftliche Nichthaltbarkeit der phantastischen Konzeptionen von A. Fomenko und seiner Nachfolger zu demonstrieren. In den Fällen, wo die Profis sich zur Kritik herablassen, bleiben ihre Arbeiten dem einfachen Leser unbekannt.“ Was? Fomenko und Co. haben die Verbreitung der Arbeiten der „professionellen Historiker“ verboten? Wahrscheinlich haben sie eine Zensur der historischen und chronologischen Publikationen eingeführt und besitzen das Monopol auf alle Massenmedien. Und was haben die „professionellen Historiker“ von Scaligers Zeiten bis 1990 getan?! Warum haben sie im Verlaufe von vier Jahrhunderten nicht das Verlangen nach phantastischen Konzepten eliminiert?! Warum haben sie ihre Chronologie nicht so ernsthaft begründet, dass bei denkenden Wissenschaftlern das Verlangen nach der Aufklärung der zahlreichen dunklen Stellen und weißen Flecken gar nicht erst entstand?! Eine größere selbstdemütigende Einschätzung der Hilflosigkeit der traditionellen Geschichte im Verteidigen der eigenen Dogmen, im Ausdenken einer wenigstens ansatzweisen Beweisbarkeit der nicht begründeten chronologischen Behauptungen kann man sich schwerlich vorstellen. Nebenbei gesagt, auf den fast 800 Seiten ihres Buches widmen Saweljeva und Poletaev auch der Dechiffrierung ihres Verständnisses der Rolle des Begründers der modernen (nur der modernen? Ist sie überhaupt modern? Vielleicht, der heute in der Vergangenheit verschwindenden?) Chronologie einige Zeilen (auf S. 192), als den sie Joseph Justus Scaliger anerkennen: „Das System der Zählung von der Erschaffung der Welt ging indirekt auch in die Arbeiten eines der Begründer der modernen Chronologie (als historische Disziplin) Joseph Scaliger ein. In den Arbeiten „Korrektur der Chronologie“ („Opus novum de emendatione temporum“, 1583), „Hort der Zeit“ (Тesaurus temporum“, 1606) und anderen Werken hat J. Scaliger vorhergehende Untersuchungen christlicher Chronologen gesammelt und systematisiert. Er hat sie mit den Daten astronomischer Beobachtungen verglichen und ein System der Vereinheitlichung der Zählung der Zeit erschaffen, das einen erheblichen Einfluss auf die nachfolgenden wissenschaftlichen Forschungen hatte. Es wird bis heute sehr breit bei astronomischen und chronologischen Berechnungen angewandt. Dieses System war nicht auf einer Jahreschronologie, sondern auf der Zählung in Tagen ab einem bestimmten festgelegten Datum (1. Januar 4713 v.u.Z.) begründet. Inhaltlich ist das ein Analog zur „Erschaffung der Welt“. Zur Bestimmung dieses Datums verwendete Scaliger genau dieselben 28, 19 und 15jährigen Zyklen, die auch die Begründer der byzantinischen Ära „von der Erschaffung der Welt“ genutzt hatten. Das Produkt 28*19*15=7980 wurde durch ihn „Julianische Periode“ genannt (entweder nach seinem Vater Julius oder wegen seiner Anhänglichkeit am julianischen Kalender und der Ablehnung des gregorianischen). Die komplette Zählung in Tagen vereinfacht den Übergang von einem System der Zeitzählung zum anderen.“ In diesem Zitat kann man deutlich den Versuch erkennen, Scaliger vor begründeten Anschuldigungen bezüglich des Ausdenkens der Chronologie oder zumindest des massiven Hinzudichtens zu schützen: Der Mensch hat eine neue Wissenschaft begründet und basta! Daran gibt es nichts herumzukritteln. Deswegen gibt es in diesem Buch auch keinerlei Hinweise auf die durch Petavius vorgenommenen Berichtigungen der chronologischen Tabellen von Scaliger. Und auch kein Wort darüber, dass genau er es war, der seine Tabellen mit „historischem Material“ gefüllt hat. Natürlich ist es bewundernswert, dass Scaliger die Zeitrechnung nach Tagen und nicht nach Jahren eingeführt hat. Eine Zählung, von der Autoren anmerken, dass sie in einigen modernen Computerprogrammen Anwendung findet. Aber über die Schaffung der Grundlagen für die modernen – teilweise vielbändigen – chronologischen Tabellen der Weltgeschichte sprechen sie irgendwie verschämt und wie nebenbei: Na, „er hat die vorhergehenden Untersuchungen der christlichen Chronologen gesammelt und systematisiert“. Aber was die erwähnte indirekte Berücksichtigung des Systems der Zählung historischer Daten von der Erschaffung der Welt betrifft, so spiegelt sich in dem Versuch Scaligers, den Bezugspunkt so weit hinauszuschieben, dass es nur Daten mit positivem Vorzeichen gibt, in erster Linie die Angst, Daten mit negativem Vorzeichen zu erhalten, wider. Mit anderen Worten, noch kurz vor dem Erscheinen der entsprechenden Arbeiten von Petavius, hat selbst der größte Chronologe aller Zeiten und Völker das Rückwärtszählen in der Chronologie so gefürchtet, dass er versucht hat, es für immer aus der Chronologie zu verbannen. Das bekräftigt nochmals meine Vermutung darüber, dass alle Arbeiten der alten Historiker, in denen eine Rückwärtszählung von Christi Geburt enthalten ist, frühestens ins 17. Jahrhundert datiert werden müssen. Moderne Scaligerkunde Indem ich mich so ausführlich mit der Einschätzung der Rolle Scaligers für die Chronologie beschäftigt habe, versuchte ich das durch die Historiker-Traditionalisten geschaffene Riesenloch zu stopfen und auf ihre Lügen in dieser Frage zu reagieren Und das nur deswegen, weil sie es nötig haben, den Eindruck zu erzeugen, als sei die Geschichte entstanden, noch bevor die Menschenaffen von den Bäumen der afrikanischen Savanne geklettert sind und sich in Richtung der lichten Zukunft aufrichteten. Die Chronologie haben sie sich ausgedacht, bevor sie „eins“, „zwei“, „viele“ zählen konnten und mit Speeren auf Antilopenjagd gingen, aber sie bevorzugen es, über irgendeinen Scaliger im Zusammenhang mit der Schaffung der Chronologie nicht zu sprechen. Aber er hat doch „nur“ vor 400 Jahren gelebt, und damals gab es nur deshalb noch keine atomgetriebenen Unterseeboote, weil viele führende Geister mit solch wichtigen Fragen, wen man öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrennen und wen man einfach in die Folterkammer stecken sollte, beschäftigt waren. Gleichzeitig möchte ich zeigen, was für schwierige Figuren an der Wiege der traditionellen Chronologie standen und in welch einer schwierigen Zeit sie tätig waren. Unsere heutigen Kriterien für Ehrlichkeit und Integrität sind sowohl auf diese Epoche als auch auf Scaliger und Co. nicht anwendbar, auf die, die die Chronologie durch Dazuerfinden vervollständigt und das vor ihnen ausgedachte systematisiert haben. Sie bildeten keine Ausnahme aus diesem System der moralischen Vorstellungen, das in dieser Zeit vorherrschte. Der Geist dieser Zeit und dieser Epoche bestimmte sowohl die Grenzen ihres Schaffens als auch den Anteil der Phantasie und die dadurch entwickelten eigenen Ergänzungen in der Kombination mit den Versuchen der Systematisierung und Ordnung dessen, was vor ihnen ausgedacht und hinzugedichtet worden war. Meine Aufgabe hat sich sehr dadurch vereinfacht, dass sich am Ende des 20. Jahrhunderts, der in Princeton lehrende amerikanische Professor Anthony Grafton, ein hervorragender Wissenschaftler und Historiker der Epoche des Humanismus, sich mit der Erforschung der Epoche Scaligers und dessen Schöpfungen, mit dessen Rolle bei der Schaffung der Chronologie und der Mittäterschaft an der Fälschung der antiken Geschichte beschäftigt hat. Grafton wurde 1950 in New Haven geboren. Er hat Geschichte an der Universität von Chikago und in Pisa bei Professor Arnaldo Momiliano studiert. Einige der Bücher von Grafton, der übrigens ein sehr schreibfreudiger Autor ist, sind schon ins Deutsche übersetzt worden. Die meisten seiner jüngeren Werke, wie z.B. • Antony Grafton: Fälscher und Kritiker. Der Betrug in der Wissenschaft, Wagenbach, Berlin, 1991 • • Antony Grafton: Cardanos Kosmos, Die Welten und Werke eines Renaissance-Astrologen. 414 S., Berlin, 1999 • • Antony Grafton: Leon Batista Alberti. Baumeister der Renaissance, Derlin Verlag, Berlin, 2002 • sind der Epoche der Renaissance – der sein Hauptinteresse gilt – gewidmet. Als eines der ersten fällt der Blick auf einen durch ihn und einen weiteren Editor herausgegeben Sammelband einer von ihnen im Jahr 1993 veranstalteten Konferenz in der Universität von Princeton • Proof and persuasion in history, Ed. by Anthony Grafton and Suzanne L. Marchand, Wesleyan University, Middletown, Conn., 1994 • Gleichzeitig ist auch sein der neueren Zeit gewidmetes Buch • Antony Grafton: Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 1998; Original: The Footnote. A Curious History) • übersetzt worden. Es ist ein Buch, in dem ein nicht uninteressantes Kapitel in der Geschichte der Geisteswissenschaften, das vielen Historikern aus dem Gesichtsfeld geraten ist, behandelt wird. Es geht darum, dass die Fußnoten, die in erster Linie eine charakteristische Besonderheit der deutschen (deswegen der Zusatz „deutsch“ bei der Übersetzung des Buches aus dem Englischen) aber auch der allgemeinen akademischen Wissenschaft und speziell ihres geisteswissenschaftlichen Teilbereichs ist, nicht nur dazu da waren, den Leser von der Notwendigkeit zu befreien, langweiliges aber auch beweiskräftigeres Material zu lesen, sondern sie verwandelten sich im Verlaufe der Zeit auch in ein Schlachtfeld für harte intellektuelle Kämpfe. Speziell im Zusammenhang mit historischen Problemen wurden in den Fußnoten harte und nicht immer korrekte Gefechte zwischen verschiedenen historischen Schulen und auch zwischen Historikern und Geschichtskritikern geführt. Ohne Fußnoten, die für einen Historiker ungefähr die gleiche Rolle wie Tabellen empirischer Daten oder die Beschreibung experimenteller Beobachtungen in den Naturwissenschaften spielen, kann man, so sagt Grafton, historische Thesen loben oder ablehnen, aber nicht beweisen oder widerlegen. Gleichzeitig erreichten einige Schriftsteller genau im Bereich der Fußnoten die Höhen der literarischen Vollendung. Zu diesen zählt Grafton auch Edward Gibbson, den Autor des berühmten und mehrfach verlegten Buches „Decline and Fall of the Roman Empire“. Die neuesten Ausgaben dieses Buches, so z.B. in gekürzter Form in der Redaktion von D.M. Low (Book Club Associates, London, 1979) haben wegen des Weglassens einer großen Anzahl von Fußnoten viel von ihrem Glanz verloren. Nach meinem Kenntnisstand wurde bisher keines der Bücher von Grafton ins Russische übersetzt. Auch sein Name wird in Russland recht selten erwähnt. Die einzige Erwähnung im Zusammenhang mit der Chronologie fand ich auf der Website von „Gorm“ – eines aktiven Gegners der Neuen Chronologie (Dr. Habil Michail Gorodetskij). „Ich besitze das Buch von Scaliger. Obwohl ich praktisch kein Latein beherrsche, habe ich mit Hilfe eines Wörterbuches sogar den Inhalt übersetzt. Ich habe auch seine Autobiographie und die Biographie von Bernays gelesen. Aber die wichtigste Quelle ist natürlich die fundamentale Untersuchung der Arbeit Scaligers von Anthony Grafton (Grafton A. Joseph Scaliger, A study in the History of Classical Scholarship, II Historical Chronology. - Oxford: Clarendon press, 1993).“ Ich vermute, dass es sich sowohl im Fall des Buches von Scaliger als auch des Buches von Grafton, genauer gesagt, um den im Zitat genannten zweiten Teil dieses zweibändigen Werkes, um Kopien dieser Bücher handelt, die ich seinerzeit mit einem Teilnehmer unserer Konferenz zur Geschichtskritik nach Moskau geschickt hatte. Seit dieser Zeit sind einige Jahre vergangen, allerdings habe ich auf der genannten Website weder eine Analyse des im Zitat genannten zweiten Teils des Buches von Grafton, der die Unterüberschrift „Historische Chronologie“ trägt, noch dessen russische Zusammenfassung gefunden. Der erste Band dieses Buches trägt die Unterüberschrift „Kritik und Auslegung von Texten“. Der Autor charakterisiert beide Bände als intellektuelle Biographie von Scaliger. Doch im ersten Band, genauer gesagt, im zweiten Teil desselben, bringt Grafton ab S. 101 die Biographie des jungen Scaliger und analysiert all die Teile seiner intellektuellen Tätigkeit, die nicht unmittelbar mit der historischen Chronologie zu tun haben. Die Rede ist von seiner frühen Tätigkeit als Redakteur und Kommentator klassischer Texte, über die Veränderung des Charakters dieser Tätigkeit unter dem Einfluss der ihn umgebenden sozialen Sphäre und von emotionalen Aspekten (Grafton konstatiert, dass Scaliger Diener und Beherrscher seiner Emotionen war.). Weiterhin geht es um die Reaktion seiner Zeitgenossen und der kurz nachfolgenden Generationen auf seine Arbeiten, um seine Offenbarungen in seinen nicht veröffentlichten Texten. Beginnen wir trotzdem unsere Erzählung mit Graftons Sichtweise der Figur von Scaliger mit dem ersten Band des Buches, der weniger als ein Drittel des Gesamtumfangs von über 1000 Seiten hat. Die ersten 100 Seiten des Buches sind der Tätigkeit der Humanisten gewidmet, die man zu den Vorläufern von Scaliger Junior zählen kann. Dies sind in ersten Linie Angelo Poliziano (angeblich 1445-94, ein Historiker, florentinischer Meister – und Gründer – der historischen Kritik, Humanist und Poet, aber auch Politiker: Kanzler unter Lorenzo Medici) und die Nichtspezialisten weniger bekannten Vettori und Dorat. Im zweiten Teil des Buches folgt Grafton in weiten Teilen Bernays und den erwähnten letzten Briefen Scaligers. In der Einführung sagt Grafton, dass sowohl die klassische Philologie als auch die historische Chronologie als Disziplinen im 16. Jahrhundert entstanden sind. Gleichzeitig kann er sich aber nicht von der Vorstellung lösen, dass die Chronologie angeblich schon im „antiken“ Alexandria erfunden wurde. Angeblich haben die Kirchenväter (in Wahrheit komplett erfunden – siehe dazu das Buch von Topper) sie kultiviert. Er schreibt aber selbst, dass die Chronologie über diesen gesamten langen Zeitraum keine eigenständige Wissenschaft war und dass es keine Chronologen gab, die dafür bezahlt wurden, sich mit dieser Disziplin zu befassen. Es existierten keine genauen Vorstellungen über die Arbeit mit den antiken Quellen, wie man aus ihnen historische Informationen „herauspressen“ kann. Nach diesen abfälligen Einschätzungen geht er direkt von der „Antike“ zur Mitte des 15. Jahrhunderts über. Dadurch demonstriert er, dass der allgemeine Hinweis auf eine Chronologie in Alexandria einfach ein Glaubensbekenntnis an die traditionelle Geschichte ist, eine Art Abgabe an die kanonisierte Tradition. Grafton nennt die Autobiographie Scaligers aus dem Jahre 1594 arrogant. Obwohl er keine systematische Schulbildung erhielt, studierte der junge Scaliger drei Jahre an der berühmten Schule in Gyen (an ihr studierte auch Montene). Dort überraschte er seine Lehrer mit der Fähigkeit, ohne jegliche Vorbereitung lateinische Aufsätze schreiben zu können. Die Schule hat sein Wissen in dieser Sprache nicht sehr vertieft. Seine Kenntnis des Lateins und auch alle anderen erworbenen Fähigkeiten waren Ergebnis des Unterrichts durch seinen Vater, der auch selbst von der Originalität der Gedanken seines Sohnes überrascht war (So klingt es zumindest in der Autobiographie.). Mit 16 Jahren schrieb er auf Lateinisch eine Tragödie, die allerdings nicht erhalten ist. Der Weg vom Autodidakten zum Experten Kurz nach dem Tod seines Vaters begann Joseph in Paris allgemeine Vorlesungen zu besuchen und ... bemerkte, dass sein Griechisch zu schlecht war, um folgen zu können. Deswegen konzentrierte sich Scaliger in den nächsten Jahren auf das Erlernen dieser Sprache und er las beginnend mit Homer alle verfügbaren griechischen Werke. Seit 1561 war er in der Lage, Gedichte auf Griechisch zu verfassen, was eine Zeit lang zu seiner Hauptbeschäftigung wurde. Er beginnt, lateinische Klassiker auf Griechisch zu übersetzen. Dadurch versuchte er, griechische Originale von Werken, die nur in der lateinischen Übersetzung erhalten geblieben sind, zu rekonstruieren (Ich schließe nicht aus, dass diese Originale nie existiert haben und die entsprechenden Apokryphen nur auf Lateinisch geschrieben wurden.). 1564 zählte man Scaliger schon als einen Experten in Fragen der griechischen und lateinischen Literatur. In diesem Jahr beendete er und übergab zur Drucklegung seine Kommentare zum Buch von Varro über die lateinische Sprache, in dem er auch seine Kenntnisse in der griechischen Poesie demonstrierte. Nach diesem Buch, ungefähr ab 1565, festigte sich seine Reputation als herausragender Kritiker sowohl der griechischen Poesie als auch lateinischer Texte. In dieser Zeit begann er auch, Texte in diesen zwei Sprachen mit den Sprachen des Nahen Ostens zu vergleichen, wobei er versuchte, etymologische Überlegungen zur Textanalyse einzusetzen. Seine älteren Zeitgenossen bewahrten gegenüber seinen etymologischen Argumenten eine gewisse Skepsis, aber die gleichaltrigen waren davon hingerissen. Als er begann, seine Textanalyse auch zur Übersetzung von Poesie einzusetzen, war das Verhältnis zu seinen Begründungen sehr gespalten. Seine Übersetzungen machten einen unfertigen Eindruck, obwohl ihr lexikalischer Reichtum außer Frage stand. Er selbst wurde als wichtige Autorität in Fragen des archaischen Lateins und der römischen grammatischen Tradition anerkannt. Seine Reputation war zwar etwas merkwürdig, aber es war die Reputation eines Menschen, an den man sich in allen Streitfragen in diesem Bereich wandte, wie Grafton auf S. 118 schreibt. Nach 1565 verschlechterte sich das Leben von Scaliger. Die nächsten drei Jahre verbrachte er auf Reisen, die keine regelmäßige Beschäftigung mit Wissenschaft und Literatur zuließen. Als er auf dem Weg nach Neapel und Rom zweimal die Alpen überqueren musste, versuchten er und sein Gönner Louis Chastenet de la Rosposet, der französische Gesandte in Rom, griechische und lateinische Texte zu lesen und zu diskutieren. Die meiste Zeit verbrachten sie in den Städten Norditaliens. Trotz seiner italienischen Herkunft wurde Scaliger als Fremder in diesem Land empfangen. Er hing vollständig von den Kontakten seines Führers Muret ab, der ein Freund seines Vaters gewesen war. Aber er versuchte, Kontakte zu knüpfen, er besichtigte alte Denkmäler und erstellte eine Kollektion von Inschriften, wobei er sich in erster Linie für griechische interessierte. Allerdings hat er nie in Italien aufbewahrte Handschriften verwendet, nur solche aus Frankreich und Deutschland. Obwohl die Italiener sich freundlich zu dem jungen Franzosen verhielten, gefielen sie ihm nicht, selbst die Gelehrten unter ihnen. In jedem vermutete er einen zu ihm geschickten Mörder, der den letzten Nachfahren der „Fürsten della Scala“ vom Antlitz der Erde entfernen sollte, dies besonders unter den Venedigern, die ja die Heimat seiner „Vorfahren“ okkupiert hatten. Nur in den reichen und durch einen hohen Bildungsstand glänzenden jüdischen Logen Norditaliens, in erster Linie in Mantue und Ferrari, fühlte er sich wohl. Mit Verwunderung stellte er fest, was für Freiheiten die jüdischen Handels-Logen genossen. Die italienischen Juden ihrerseits waren hingerissen von seiner Kenntnis des Altjüdischen (Hebräischen), obwohl sie bemerkten, dass er eine biblische Variante der Sprache nutzte, während in Italien ein anderer Dialekt dominierte. Nebenbei gesagt, auch Scaliger verstand, dass seine Kenntnis des Altjüdischen und Arabischen, die ja auf Selbststudium beruht, in nichts mit seinem Wissen des Griechischen und Lateinischen zu vergleichen ist. Aus Italien machten sich die Reisenden auf den Weg nach England, wo sie in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen empfangen wurden. Scaliger war von Königin Elisabeth beeindruckt, und zwar nicht von ihrer Schönheit, sondern von ihrem freien Umgang mit vielen Sprachen. Die Freiheit der Sitten (um nicht sexuelle Freizügigkeit zu sagen) der englischen Aristokratie stieß ihn ab. Das Land selbst kam ihm provinziell vor, es hatte nur kleine Handschriftensammlungen in den Bibliotheken (nichts Interessantes!) und es gab eine starke antifranzösische Einstellung. Nach Bernays wurde diese Einschätzung durch die antienglische Erziehung der jungen Franzosen verursacht. Nach Grafton war seine allgemeine Einschätzung: Barbaren und Fanatiker. Dieses Bild Englands befindet sich in schreiendem Widerspruch zu den Märchen, die uns Historiker über die römische Periode der Geschichte erzählen, über eine reiche Klostertradition, über Beda Venerabilis und über die verschiedenen Seiten des intellektuellen Lebens im Mittelalter. Ich meine, dass man der Einschätzung Scaligers glauben kann: die aktive Tätigkeit zur Schaffung einer virtuellen Geschichte hatte im 16. Jahrhundert erst begonnen und bis zum Ende dieses Jahrhunderts lief die Produktion von „antiken“ Handschriften noch nicht auf vollen Touren. Krieger und Gelehrter Allerdings war die durch die dreijährige Reise hervorgerufene Ablenkung nur das Vorspiel zu den Jahren des Bürgerkriegs, der Scaliger 1567 veranlasste, den Schreibtisch mit dem Soldatenrock zu tauschen. Scaliger, der im Alter von 22 Jahren Hugenotte geworden war, war einer ihrer bekanntesten Anhänger und Theoretiker in Frankreich, wo die feindliche Haltung seitens der Katholiken allgemein bekannt war. Er schaffte es nicht, die nach den Reisen verfassten Handschriften zu veröffentlichen, des als Erbe erhaltenen Besitzes wurde er beraubt, viele Jugendfreunde kamen um. Nach der Beendigung des Krieges ließ er sich in Valencia nieder, wo er seine Traurigkeit und tiefe Depression bekämpfte, indem er sich intensiv mit römischem Recht befasste und Bekanntschaft mit führenden französischen Juristen schloss, in erster Linie mit dem herausragenden französischen Rechtshistoriker Jacob Cuiacius (Jacques Cujas). Hier begann Scaliger auch, die verloren gegangenen Fragmente der Arbeit des mittelalterlichen Juristen Africanus zu rekonstruieren (nach eigener Aussage von Scaliger seine wichtigste Arbeit in der Nachkriegsperiode). Cuiacius (angeblich 1522-1590), der Scaliger zu seinem Assistenten gemacht hatte, hat diese in seinen Werken zum römischen Recht in breiter Form verwendet. Die Lobeshymnen des in ganz Frankreich berühmten Gelehrten, der ansonsten sehr selten Lob aussprach, an die Adresse des 20 Jahre jüngeren Scaliger trugen viel zur Begründung von dessen Autorität bei. Cuiacius gab Scaliger in seinem Haus Unterkunft, führte ihn in den Kreis seiner Korrespondenten und Kollegen ein und erlaubte ihm den Zutritt zu seiner reichen Sammlung alter Handschriften (ungefähr 200 Stück). Scaliger nutzte diese Handschriften sehr intensiv in seiner Arbeit. Die Freundschaft mit Cuiacius dauerte bis zu dessen Tode. Außerdem bekam er in Valencia noch einen weiteren Freund und Helfer: den jungen damals noch Katholiken Jean-Jaques Tou, ein zukünftiger Historiker und Vorsitzender des Parlaments. Auch machte er die Bekanntschaft von Claude Depui, einem führenden Parlamentsvertreter in Paris, der ihn mit seltenen Büchern versorgte, zu verschiedenen Fragen konsultierte und den Kontakt mit den italienischen Humanisten aufrechterhielt. Die Nachkriegsidylle endete im August 1572. Im Auftrag der Regierung machte er sich als Mitglied einer Delegation des Anwärters auf den polnischen Königsstuhl auf den Weg nach Polen. In Straßburg erreichte ihm die schreckliche Neuigkeit über das Abschlachten der Hugenotten in der Bartholomäusnacht. Damit endete seine Bereitschaft, der französischen Regierung zu Diensten zu sein. Vor möglichen Verfolgungen rettete er sich nach Genf, wo man ihm sofort vorschlug, Professor für Philosophie zu werden. Sein Zögern hing damit zusammen, dass er öffentliche Auftritte verabscheute. Sein ganzes Genie konnte sich nur hinter dem Schreibtisch entfalten, nicht im Hörsaal. Da die Stadtoberen seine schriftstellerische Tätigkeit nicht behinderten, begann er Vorlesungen über Aristoteles und Cicero zu halten, die von den nicht sehr zahlreichen Studenten positiv aufgenommen wurden. 20 Jahre später, war es genau diese Aversion gegen öffentliche Auftritte, die Scaliger davon abhielt, sofort den nach der Abreise von Lipsius verwaisten Lehrstuhl in Leiden zu übernehmen. Er musste sich zu Anfang noch mit der Führung der Universität und der Stadt einigen, dass von ihm keinerlei Vorlesungen gefordert werden können. Aus allen möglichen Auditorien bevorzugte er die, die nur aus einem einzigen Zuhörer oder Gesprächspartner bestanden. Nichtsdestotrotz umringte ihn ständig der wissenschaftliche Nachwuchs und Mangel an Schülern und jungen Zuhörern bestand bei ihm nie. Trotz des Erfolges seiner kurzen Professorentätigkeit in Genf, kehrte Scaliger im Oktober 1574, als sich die Lage in Frankreich wieder etwas beruhigt hatte, in die Heimat zurück. Er wohnte auf dem Anwesen seines Gönners und Freundes de la Rochepozay. Die nächsten 20 Jahre bis zu seiner Übersiedlung nach Leiden verbrachte Scaliger, der ein südfranzösischer Patriot war, auf verschiedenen Besitztümern seines Gönners und auf Reisen durch französische, hauptsächlich südfranzösische, Städte. So besuchte er 1581 Cuiacius in Bourges, wohin dieser aus Valencia übergesiedelt war, um ihm seine Anteilnahme am Tod seines Sohnes auszudrücken. Dank einer Hinterlassenschaft seiner Mutter und der Großzügigkeit seiner Freunde hatte er niemals finanzielle Probleme auszustehen, und das, obwohl ihm der durch ein Edikt Heinrich III. von 1579 festgelegte königliche Unterhalt in Höhe von jährlich 2000 Franken trotz Bitten seiner einflussreichen Pariser Freunde nicht ein einziges Mal ausgezahlt worden war. Über Frauen in seinem Leben ist nichts bekannt. Bernays weist nur darauf hin, dass er niemals heiraten wollte. Dank dessen konnte er es sich leisten, 20 seiner besten Jahre der Wissenschaft zu widmen, ohne durch Dienste oder familiäre Verpflichtungen abgelenkt zu werden. Bernays meint, dass sich sein Schaffen genau deswegen durch solch eine Leichtigkeit und Freiheit auszeichnet, die für Leute typisch ist, die niemals unter einer Knute gelebt haben. Dadurch erklärt sich auch die Geschwindigkeit, mit der er die Bücher der lateinischen Klassiker, auf die ich hier nicht näher eingehen werde, in den Druck gab. Sollen die Philologen seine Entdeckungen früher nicht publizierter Texte beschreiben, seine Streitgespräche über dieses und andere philologische Themen mit den italienischen Philologen, den französischen Pedanten und den italienischen Korrektoren. Ich beschränke mich auf die Meinung von Bernays, dass Scaliger sehr viel Weisheit verbreitet hat, um die Wunden auf dem Körper der historischen Philologie zu stillen, die ihr durch die Barbarei des Mittelalterns zugefügt worden waren. Das hört sich zwar schön an, nur ist es schwer zu glauben, es ging doch alles ziemlich flink. Die Berichtigung des unkorrigierbaren chronologischen Schatzes. Nachdem er einen gewichtigen Beitrag zur Schaffung der klassischen Philologie geleistet hatte, begann Scaliger seine divinatorischen Talente auf historische Quellen anzuwenden, was mit der Zeit zu seiner Hauptbeschäftigung wurde. Er führte dies bis zur Schaffung der Chronologie als wissenschaftliche Disziplin. Erstes Opfer seiner Manie, die Klassiker im eigenen Sinne umzuschreiben, wurde ein gewisser Marcus Manilius – angeblich ein römischer Astronom der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts u.Z.. Es wird angenommen, dass er zwischen den Jahren 9 und 22 u.Z. das lehrreiche Gedicht „Astronomica“ über Astronomie und Astrologie für den Imperator Tiberius geschrieben hat, das nicht mehr und nicht weniger aus fünf Büchern besteht. Dieses astronomischen Reimschmiedes nahm sich Scaliger nun an, wobei er sofort feststellte, dass Manilius sich mit seiner Aufgabe übernommen und Zeilen (aber vielleicht auch Worte) nicht in der richtigen Reihenfolge angeordnet hatte. Nach den Worten von Bernays verwandelte Scaliger die „Astronomica“ „in das, was dem Ziel entsprach, wofür er es benutzen wollte: in den Faden der Ariadne für die Darstellung der Astronomie des Altertums“. Dies gelang ihm, indem er mit der Reihenfolge der Zeilen spielte und darauf die gesamte Kraft seines inneren Divinators anwandte, ohne sich um die tatsächliche Wiederherstellung des originalen Textes zu bemühen (Bernays, S.47). Diese Arbeit im Jahr 1579 sollte ihm den Weg zu seinem eigenen chronologischen System bahnen. Es wird angenommen, dass die „Korrektur der Chronologie“ 1583 als sofortige Reaktion auf die gregorianische Kalenderreform erschien. Doch was verwunderlich ist: Bernays bemerkt, dass erstens die Reaktion auf sie sehr verhalten war. Das Werk wurde als etwas Fremdes betrachtet. Man kannte es, man sprach darüber, doch man las es selten und lobte es noch weniger. Etwas Konkretes vermittelt Bernays darüber allerdings nicht, was seiner üblichen Art, für jede Behauptung konkrete Beweise zu präsentieren, widerspricht. Zweitens unterstreicht Bernays, dass Scaliger in diesen Jahren überhaupt keine Streitgespräche über Kalender führte. Allerdings begann er zehn Jahre später in Leiden damit, dies mit der ihm eigenen Energie zu tun. So kann es sein, dass die Vermutung von Pfister richtig ist, dass das Erscheinungsjahr der „Korrektur der Chronologie“ später gefälscht wurde („berichtigt“ und an das Datum der gregorianischen Reform angepasst). Interessant ist, dass die italienischen Humanisten, wie Bernays auf S. 50 schreibt, Humanisten, die die „antiken“ Werke nicht schlechter kannten als Scaliger, davon überzeugt waren, dass sich aus dem vorhandenen Zahlengewirr, relativen Datierungen, Jahresangaben in verschiedenen Systemen und weiterer noch schlechter datierter historischer Informationen niemals eine widerspruchsfreie Chronologie des Altertums erstellen lässt. Aber möglicherweise hat sie einfach die Natur nicht mit solch reichen divinatorischen Fähigkeiten ausgestattet, wie den Erfinder der Chronologie Scaliger?! Und überhaupt, wenn etwas unmöglich ist, aber man wirklich will, dann geht es auch. Auf seiner Website, auf der er die Neue Chronologie kritisch betrachtet, hat M.L. Goredetskij (Gorm) im Bereich: „Verleumdung“ das Inhaltsverzeichnis der ersten Ausgabe des Buches „Korrektur der Chronologie“ veröffentlicht. Wie ich schon schrieb, sind fast alle Überschriften verschiedenen Jahresbegriffen und verschiedenen Ären gewidmet, d.h. verschiedenen Kalendertypen. Dabei wird jedes Mal eine Tabelle chronologischer Daten, die sich aus der Untersuchung des jeweiligen Kalenders ergeben, aufgelistet. Auf den Seiten 3 bis 341 sind mehr als 190 Überschriften dieser Art angeführt. Pfister analysiert genauestens die zweite Ausgabe der „Korrektur“ und merkt an, dass sie einen Umfang von 850 S. hat (nach allgemeiner Aussage von Bernays hatten „die zweiten Ausgaben der Bücher von Scaliger einen Umfang, der doppelt so groß war wie der der ersten Ausgabe“). Er bemerkt nicht nur die Vielzahl der chronologischen Tabellen, sondern auch genaue Verzeichnisse, die deren Verwendung erleichtern. Das Prinzip der Darlegung des angesammelten (oder im Zusammenhang mit diesem Buch dazu erfundenen) Materials ist folgendes: Zuerst wird der jeweilige Kalender an die in scaligerschen (julianischen) Tagen zählende Zeitachse angedockt und danach folgt eine Liste der Herrscher und der historischen Ereignisse, über die angeblich Informationen im Rahmen dieses Kalenders vorliegen. Es ist klar, dass jeder Fehler beim Andocken des Kalenders an die Zeitachse (das Vorhandensein solcher Fehler hat Petavius gezeigt und Ideler unterstrichen) zu zahlreichen Fehlern in der jeweiligen chronologischen Tabelle führt. Weiterführende Fehler muss man in den Herrscherlisten selbst, mit denen sich Scaliger im Wesentlichen beschäftigt hat, und in den historischen Ereignissen, die ihrer Regierungszeit zugeschrieben werden, suchen. Zahlreiche Fehler dieser Art (es wird sich wohl kaum ein Historiker finden, der seine Hand dafür ins Feuer legt, dass die Listen fehlerfrei sind) wurden von Scaliger in seine vielen chronologischen Tabellen übernommen. Und wer wird sich dafür verbürgen, dass nicht all diese jüdischen, babylonischen, persischen und arabischen historischen Persönlichkeiten durch zahlreiche mehr oder weniger glaubhafte Schriftsteller der vergangenen Jahrhunderte erdacht wurden, besonders nach den durch Morosov und Fomenko gefundenen Analogien zwischen den Herrscherlisten verschiedener Epochen und Länder. Scaliger begründet seine Tabellen auf die durch ihn berichtigten Eusebius und Plutarch, aber auch auf zahlreiche Schriftsteller des Nahen Ostens, die er reichhaltig in altjüdischer und arabischer Sprache zitiert. Natürlich kostet es den normalen Leser nichts, die Zitate und die richtige Weitergabe sämtlicher kalendarischer Informationen durch Scaliger sowie deren Begründung und richtige Interpretation zu überprüfen. Doch im Unterschied zu diesen haben die herausragenden Historiker noch nicht die Zeit gefunden, diese gigantische Arbeit in Angriff zu nehmen. Pfister merkt an, dass man während der Zeit Scaligers einigen antiken Herrschern deutlich größere Bedeutung einräumte, als es heute der Fall ist. Als Beispiel führt er Herodes an, den man in der damaligen Zeit nicht anders als Herodes den Großen nannte. Weiterhin findet er römische Imperatoren, die Scaliger aus irgendeinem Grund überhaupt nicht erwähnt. Aber all das sind nur Details, die das allgemeine Bild der Erschaffung aus fast nichts (detailliert durch mich im Kapitel über die „Chronik“ von Schedel beschrieben) eines wohlgestalteten jahrhunderte- und selbst jahrtausendelangen chronologisierten Geschichtsbildes nicht verändern. Geändert von Eino am 27.Feb.2007 12:07 |