Zufälligerweise fiel mir nach über 10 Jahren ein Buch des Exorzisten CD wieder ein, worin er um 2008 die vergessene Kalenderreform von Cusanus - natürlich von ihm synochenmäßig interpretiert - neu herausgab. Ausgangspunkt für mich war ein Dialog mit Ulrich Voigt, wo es um die Frage ging, warum Hipparch das tropische Jahr nur um 1/300 bzw. um 1/304 kürzte, obwohl er eigentlich aufgrund von Beobachtungen des Frühlingspunktes über mehrere Jahrhunderte eher -1/150 hätte annehmen müssen. Ich erinnerte mich, dass Cusanus ebenfalls den Wert von Hipparch/Ptolemäus annahm, obwohl er es besser wusste.
Die Originaltexte:
Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie; das Zeitrechnungswesen der Völker : Ginzel, Friedrich Karl, 1850- : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
(S. 390)
Des Claudius Ptolemus Handbuch der astronomie .. (sas.ac.uk)
(ab S. 144)
Ich fragte mich, weshalb Hipparch die Kürzung des 365,25 Tagejahres um 1/304 dem Mondlauf angepasst hat. Die Beobachtungen hätten doch über 300 Jahre 2 Tage Differenz zum 365,25 Tagejahr ergeben müssen. Gleiches gilt drei Jahrhunderte später für Ptolemäus. Wenigstens hätte die Beobachtung folgende ganztägige Berechnung für 304 Jahre = 3760 Monate ergeben müssen:
304 x 365,25 = 111.036 Tage
3760 X 29,53059 = 111.035 Tage,
diesen Wert nahm Hipparch - eigentlich unverständlicherweise - zugleich für das tropische Jahr.
Wenn aber die Beobachtung über rund 300 Jahre seit Meton (432 BC) oder Kallipus (330 BC) zwingend 2 Tage hätte ergeben müssen, hätte er noch 1 Tag abziehen müssen:
111.034 Tage für 304 tropische Jahre. => 365,24342 Tage mit einer Abweichung von ungefähr 0,00122 Tagen zum heute gemessenen Wert.
Man hätte erst nach rund 820 Jahren wieder schalten müssen.
Schließlich bewegt sich der Mond unabhängig vom tropischen Jahr.
Seine durchschnittliche synodische Umlaufzeit von ca. 29,53059 Tagen wird am 24-stündigen mittleren Sonnentag gemessen.
Das tropische Jahr hingegen ist die Differenz zwischen 2 Frühlingspunkten.
Chris Marx vertrat die Ansicht, dass möglicherweise tatsächlich nur 1 Tag gemessen wurde und dass das tropische Jahr wirklich etwa 365,25 - 1/304 dauerte. (=> 365,24671 Tage)
Erst im Zuge der mittelalterlichen Katastrophe, die er damals schon, wie Gunnar Heinsohn heute, in das 10. Jahrhundert setzte, wurde das Jahr auf etwa 365,2425 Tage verkürzt. Nach dem letzten großen Ruck um 1350, der mit der Pestepidemie einherging, hätte sich das Jahr auf ungefähr 365,2422 Tage eingependelt.
Auch bei Cusanus Vorschlag zur Kalenderreform, 1436 oder 1437 auf dem Basler Konzil vorgetragen, findet sich noch dieses Problem oder besser gesagt, diese Ungereimtheit. Wie konnte so ein gebildeter Mann den Wert -1/304 annehmen, wo er doch selbst 7 Tage seit Nicäa (bei ihm 340 AD) streichen wollte?
Das Äquinoktium gibt er für seine Zeit mit dem 12.3. an, ist sich aber nicht ganz sicher, ob nicht auch der 13.3. noch stimmt. Tatsächlich fiel das Äquinoktium von 1433 bis 1440 mehrfach schon auf den 11. März!
Jedenfalls käme nach Auslassung von 7 Tagen nach seiner Ansicht die Tag-und-Nachtgleiche in Richtung 19.3. oder vielleicht sogar 20.3. ab 1440 AD, womit wieder die Nähe zum 21.3. hergestellt wäre. Von 340 bis 1440 sind 1100 Jahre verflossen.
Die 7 Tage entsprächen 157 Jahren je 1 Tag Reduktion, also in etwa genau den 150 Jahren, die er als Mittelwert der verschiedenen Angaben hervorhebt. Er kannte aber den sehr genauen Wert der alfonsinischen Tafeln von geringfügig mehr als 365,2425 Tagen. Folglich hätte er auf ca. 134 Jahre je Tag Abweichung seine Berechnungen bezüglich der Anzahl der zu überspringenden Tage abstellen müssen. Diese Differenz von 134 Jahren zum Julianischen Kalender war schließlich schon den Erstellern der alfonsinischen Tafeln um 1250 klar! 365,2425 Tage wurden noch als Grundlage für die GK-Reform verwendet, statt der neuen prutenischen Tafeln.
Cusanus wörtlich (in der Übersetzung von CD):
"...dass nach einer gewissen Zeit die Antizipation einen vollständigen Tag ausmacht, nämlich gemäß Ptolemäus in 300 Jahren, Nach Johannes de Sacrobosco in 288 Jahren,
nach Alfons in annähernd 134 Jahren und nach Albategni in 100 Jahren. Soweit man aufgrund von Beobachtungen einen angenäherten Mittelwert erhalten kann, so rücken in 150 Jahren die Äquinoktien und Solstitien um einen Tag vor". Däppen S. 41
Sinnvollerweise hätte er daher 8 oder besser 9 Tage streichen müssen, um wieder in die unmittelbare Nähe des 21. März zu kommen. Nun kann man gut verstehen, dass er auch wegen der damit einhergehenden, möglichen Verschiebung der Wochentage, nur 7 Tage im Jahr 1439 streichen wollte. Zumal 1440, im neuen Adams- (Adam = 1-4-40) und Epochenjahr, am Freitag, dem 18.3. Vollmond war bzw. auch nach damaliger Berechnung gewesen wäre. Eine solche Berechnung liegt von ihm zwar m.W. nicht vor, dürfte aber in astronomischen Tabellen vorgelegen haben. Schließlich lief ja nicht nur die Sonne, sondern auch der Mond aus dem Ruder.
Abgesehen davon, dass er schrieb, dass die Lateiner den 18.3. zur Zeit von Nicäa als Frühlingspunkt akzeptierten, (man beachte hierzu auch die Ostertafel des Hippolyt auf dem 1551 gefunden Marmorstuhl, die ebenfalls als frühesten Vollmond den 18.3. ausweist, Cusanus verweist auf seine 16-jährige Ostertafel mit Beginn "Jahr 1 Alexander") wäre durch die 7 Tage der Vollmond nun auf Freitag, den 25.3. gefallen. Das neue Äquinoktium wäre exakt der 18. März gewesen. Das entspricht der kirchlichen Lehre, wonach Jesus am Freitag, den 25.3. bei Vollmond gekreuzigt wurde und am Sonntag, dem 27.3. auferstand.
Der übersetzte Originaltext von Eusebius (angeblich um 340 AD) zur Mondtafel des Hippolyt:
"Sechstes Buch 22. Kap.
Die auf uns gekommenen Schriften Hippolyts.
Damals verfasste auch Hippolyt neben zahlreichen anderen Schriften das Buch über das Osterfest.
In demselben gibt er eine Chronologie und stellt einen 16jährigen Osterkanon auf, worin er die Zeitbestimmung mit dem ersten Jahre des Kaisers Alexander beginnt."
Bibliothek der Kirchenväter (unifr.ch)
Obwohl die
jährlichen Vollmonde von 1435 AD, dem wahrscheinlichen Abfassungsdatum seines Kalenderreformvorschlages, bis 1440 AD über die Epakten nicht genau zu berechnen waren, hätte er über die Epakten mit -5 x 11 = -55 Tage, von denen wiederum 30 Tage abgezogen werden müssen, den 18. März als Vollmond getroffen. 1435 war am 13.4. Vollmond. Abzüglich 25 Tage (-55 + 30 = -25) kam er zum 18. März.
(Die Oster-Vollmonde waren am: vom 12.4. auf den 13.4.1435 um Mitternacht !, 1.4., 22.3.,10.4.,30.3., =>18.3.1440)
Nur, wie konnte Cusanus, trotz besseren Wissens, dann doch für nur -1/304 plädieren?
Also für nur -3 Tage in Zukunft statt -7 Tagen in je ca. 900 Jahren?
Das ist mir ein Rätsel!
Anmerkung:
Cusanus spricht von einer bis dato ungeklärten Verschiebung des Mondzirkels in das Jahr 20 oder 21 BC.
Meines Erachtens bezieht er sich auf Abbo von Fleury, der wegen der im Zeitraum von 28 bis 34 AD unauffindbaren fides catholica eine Neuberechnung vornahm, die die Geburt Jesu in das Jahr 21 BC legt.
Die fides catholica, das katholische Glaubensbekenntnis im Hinblick auf die Geburts- und Kreuzigungsdaten, sind:
"Kreuzigung am 25.3., Auferstehung am 27.3.", worauf auch Cusanus größten Wert legt, siehe seine neue Epoche 1440 und seine Angabe "VI Aprilis", die eine wunderbare Doppeldeutigkeit ist. Als VI. Cal. Aprilis ist der 27.3., der zweite Zeugungs- und Auferstehungstermin von Jesus gemeint, aber als 6. April die erste Zeugung von Jesu, abends gegen 18 Uhr vom 5.4. auf den 6.4.(532 = 0 AD, lt. Exiguus) und die Geburt am 6.1.(533 = 1 AD, lt. Exiguus) Ab S.63:
Time and Eternity The Medieval Discourse (Auszüge).pdf
Verbist, Peter, Duelling with the Past: Medieval Authors and the Problem of the Christian Era (c. 990-1135). - Free Online Library (thefreelibrary.com)
und
Duelling with the Past: Medieval Authors and the Problem of the Christian Era (c. 990-1135) (review) (researchgate.net)