Kurt Derungs publiziert u. a.
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Auszug aus seinem Landschaftstempel Lenzburg:
Lenzburg ist eine kleine Stadt in der Schweiz. Sie liegt in westlicher Richtung von Zürich und kann von dort aus in etwa 20 Minuten mit der Bahn erreicht werden. Die Stadt ist vor allem durch ihr mittelalterliches Schloss bekannt, doch in den letzten 50 Jahren wurde Lenzburg zu einem archäologischen Begriff, denn hier ließ sich eine 6000 Jahre alte Kultur vorfinden. Das sensationelle Hockergräberfeld mit den Steinkisten und den über 100 Leichnamen in Embryonalstellung ist nicht nur für die Schweiz von größter Bedeutung, sondern für ganz Mitteleuropa. Seit Mitte der 90er-Jahre entdecke und erforsche ich die Region Lenzburg aus landschaftsmythologischer Sicht. Wie so oft war ich wieder einmal zwischen Zürich und Bern unterwegs, schaute bequem aus dem Fenster des rollenden Zuges und entdeckte plötzlich die Hügellandschaft von Lenzburg beim Vorbeifahren. Obwohl ich diese Landschaft kannte und schon oft gesehen hatte, war es diesmal anders: Die Hügel zogen mich an und weckten mein besonderes Interesse. Ich beschloss, in Lenzburg auszusteigen und die Gegend zu erkunden. Aus diesem Halt wurden mehrere Jahre intensiver Beschäftigung mit dieser Landschaft, denn die kulturgeschichtliche Aufarbeitung der scheinbar zusammenhanglosen Quellen benötigte minutiöse Detailarbeit. Zu sichten waren die archäologischen Funde, die Sagentradition der Gegend, ihre Bräuche und Feste, die kirchenmythologischen Hinweise, die astronomische Orientierung eines Horizontkalenders und die sakrale Geometrie des Ortes. Zudem besuchte ich die Landschaft regelmäßig, um die verschiedenen Perspektiven und Erscheinungsbilder der Hügel und Stätten genau zu betrachten und zu studieren. Dabei halfen mir meine landschaftsmythologische Erfahrung und eine gewisse Intuition, die besonderen Orte ausfindig zu machen. Seit mehr als zwölf Jahren entwickle ich die moderne Landschaftsmythologie, die ich hier kurz skizzieren möchte. Ich begreife sie als ein kulturgeschichtliches Wissensgebiet, das vor allem vom Sichtbaren und Nachvollziehbaren ausgeht. Sie schafft eine breite Basis für das Verständnis einer Landschaft, indem sie isolierte Fachgebiete wie Archäologie, Ethnologie oder Mythologie systemisch vernetzt. Das Rad wird also nicht neu erfunden, doch sind die Sichtweisen und Fragestellungen neu. Neben dieser kombinatorischen Technik trägt vor allem das verlängerte Geschichtsbewusstsein Wesentliches bei, denn das herkömmliche patriarchale Geschichtsbild und seine Geschichtsschreibung erfahren fundamentale Korrekturen und Erweiterungen, wenn man die Aufmerksamkeit auf die matriarchale Gesellschaft und Mythologie legt.
Mal sehen, ob er diese Seite kennt.